Ein Wochenende |
Der Zug hatte schon vor der Einfahrt in den
kleinen verschneiten Bergbahnhof reichlich eine Stunde Verspätung.
Das war freilich nicht weiter verwunderlich, kam es doch mit
stoischer Regelmäßigkeit vor, daß bereits nach ein paar
Schneeflocken die Züge sich wie störrische Esel benahmen und
nur widerwillig an den Fahrplan hielten. Heute, am Freitag, waren
es aber nicht nur ein paar Schneeflocken, die sich den Weg von
den Wolken herab gewagt hatten, sondern eine kaum noch für möglich
gehaltene Packung Pulverschnee.
Er stand, seinen leichten Koffer in der
rechten, seinen Wanderstab in der linken Hand und einen
Reiserucksack auf dem Rücken, etwas verloren auf dem Bahnsteig.
Er war mit einem grünen Anorak bekleidet, der zwar im Tiefland
angebracht schien, doch nicht in dieser vom Wintereinbruch überraschten
Bergwelt. Der kalte Wind hatte so keinerlei Schwierigkeiten,
seine Dominanz auszuleben. Zumindest nicht an ihm.
Endlich hielt die Lokomotive mit einem
keuchenden Ausatmen verbrauchten Diesels und brachte damit auch
die in ihrem Schlepptau befindlichen fünf Waggons zum Stehen.
Dabei fast mittig zu dem einsamen Wanderer. Dieser schritt
langsam die gut zehn Schritte bis auf die sich öffnende Tür des
Waggons zu und grüßte mit einem dankbaren Blick den Schaffner.
Ein paar Augenblicke später umfing ihn wieder eine brauchbare Wärme.
Brauchbar, weil nötig. Ausgeglichen klimatisiert jedoch nicht.
Doch dieses nahm er zum einen nicht wahr und zum anderen genügte
ihm ein warmes Plätzchen.
Kaum hatte sich der Wanderer auf einen grün
überzogenen Sitzplatz gesetzt, als sich auch schon der Zug
wieder in Bewegung setzte. Langsam und irgendwie nicht mehr
zeitgemäß ruckartig. Dem sich dem Dahindösen ergebenden
Reisenden tat dies allerdings keinen Abbruch. Und so wäre er in
dieser schon fast verbraucht zu nennenden Atmosphäre gleich
weggetreten.
"Den Fahrausweis bitte," riß ihn
die Stimme des Schaffners aus seinem Dämmerzustand.
Vorbereitet, zog er sogleich den gelblichen Schein aus seiner
linken Anoraktasche und reichte sie dem Kontrolleur. Nach einem
kleinen Blick aufwärts, nahm er sich die kurze Zeit, mit den
Augen über den Rest der Innenraumes zu schweifen. Vier andere
Fahrgäste saßen ebenso wie er in sich zusammengesunken.
Allerdings trugen sie weniger unpassende Kleidung. Er nahm
deshalb an, daß sie wohl aus der näheren Umgebung stammten und
sich rechtzeitig auf den Wetterumschwung hatten einstellen können.
"Danke", wurde ihm der nun
entwertete Fahrschein zurückgegeben, woraufhin auch er ein
leises Bedanken erwiderte.
Der Kontrolleur entfernte sich auf dem längeren
Weg vom Sitzplatz des Neueingestiegenen. Dieser sah ihm
gedankenlos nach und auch nachdem er längst durch die Tür
verschwunden war, starrte unser Reisende in diese Richtung. Dann
erst wandte er sich wieder dem vorbeiziehenden Anblick der Außenwelt
zu; sich durch die Monotonie einzuschläfern.
Als er gerade diesen letzten Grad überschreiten
wollte, riß ihn eine erneute Bewegung aus dem Halbschlaf. Er
wandte seinen Kopf in diese Richtung und erfaßte kurz das Profil
einer jungen Frau, die mit einer dicken Fellmütze bewaffnet ihre
schulterlangen rotbraunen Haare gegen die Unbilden des Windes schützte.
Mehr sah der Reisende nicht, da sich das weibliche Wesen
geradewegs von ihm entfernte. Erst an der Ausgangstür des
Waggons angelangt, blieb sie kurz stehen, als ob sie überlege,
hier Platz zu nehmen oder weiter zu gehen. Dann drehte sie sich
doch der rechten Sitzgruppe zu und nahm verschwand hinter der
kleinen Wand, die das Arrangement vom Rest der Sitzreihen trennte.
Der Passagier wandte daraufhin seinen Kopf
erneut dem Fenster zu und versank nun tatsächlich in einen zwar
nicht tiefen, wohl aber nötigen Schlaf.
Eine kurze Erschütterung des Zuges öffnete
irgendwann später seine immer noch müden Augen. Dennoch genügte
das, um ihn auf eine höhere Ebene der Aufmerksamkeit zu heben.
Denn hier mußte er wohl aussteigen. Auch all die anderen Fahrgäste
schienen diesen Haltepunkt als zumindest ihr Etappenziel gewählt
zu haben. Sie hatten sich samt und sonders erhoben und standen
nun bereit, auszusteigen. Der erste von ihnen hatte bereits die
Innenraumtür geöffnet und schritt gemächlich in den Raum davor.
Eng gedrängt, folgten die drei anderen und ihnen unserer
Wanderer. Als dieser auf Höhe der ein wenig abgeteilten
Sitzgruppe war, schaute er in sie hinein, ob er nicht doch noch
einen Blick von der jungen Frau erhaschen konnte. Doch wie groß
schien seine Enttäuschung, als er die Plätze verwaist vorfand.
Er überlegt deshalb kurz, wohin sie und wann wohl verschwunden
sein könnte. Er kam jedoch lediglich zu dem Entschluß, daß sie
wohl doch wieder aufgestanden sei und einen anderen Waggon
aufgesucht hatte. Weshalb auch immer. Ausgestiegen sein konnte
sie nicht, da für die Fahrt planmäßig kein Zwischenstop
vorgesehen war.
Als der Reisende wieder der Kälte
ausgeliefert war, schien sie ihm jedoch weniger als am
vorhergegangenen Bahnhof auszumachen. Oder schien es nur so, weil
er momentan mehr auf die übrigen Fahrgäste als auf den kalten
Wind achtete. Doch obwohl er wie beiläufig nach beiden Seiten
des Zuges schaute, fand er seine Mitreisende nicht mehr. So
verließ er denn als letzter der insgesamt neun Passagiere den
Bahnsteig. Den wieder anfahrenden Zug den Rücken kehrend,
welcher seinerseits wieder ins Tal hinab rollte.
Der Wanderer hatte schnell die kleine
Wartehalle, mehr ein überdachtes Geviert mit zwei gegenüberstehenden
Bänken, hinter sich gelassen und sah die anderen Passagiere
eiligen Fußes auf das Gipfelhaus oder die daneben stehenden Gebäude
zu marschieren. Auch er drehte sich schnell um, einen weiteren
Anhaltspunkt auf seiner Reise zu finden. Ein verknöcherter Baum,
ob er dort tatsächlich gewachsen oder bereits als Baumleiche später
hier aufgestellt war, lies sich vom Standort des Wanderer nicht
feststellen. Aber auch als dieser näher herantrat, schien diesem
die Herkunft des seine ohnehin tote Rinde verlierenden Gewächses
nicht zu interessieren. Ehe schon die richtungsweisenden
Holzschilder, auf denen mit Hand und Farbe die entsprechende
Route angezeigt wurde. Wie auch die Entfernung zum nächsten
markanten Punkt.
Der Mann mittleren Alters schien inzwischen
gefunden zu haben, wonach ihm bedarf, denn ohne weiteren
Aufenthalt setzte er seine Reise fort. In diesem Fall zu Fuß.
Bald schon war er auf dem gekennzeichneten
Weg zwischen verkrüppelten Kiefern und nur halbherzig
beseitigten Schneewehen von der Baumleere des Berggipfels
entfernt. Ein mißtrauischer Blick gen Himmel und der sich
zuziehenden Bewölkung trieb ihn nun doch etwas mehr zur Eile an.
Wobei "Eile" nicht leicht übertrieben scheint.
Gute eine Stunde schien vergangen zu sein,
als die Schlechtwetterfront ihrem Namen gerecht wurde und sich
nach ein paar noch romantisch wirkenden Schneeflocken über dem
Berg ergoß. Nun schritt unser Wanderer doch deutlich schneller
aus. Mit sich selbst nicht im reinen, was ihn wohl zu dieser
Schnapsidee bewogen hatte, ohne Führung den Treffpunkt
aufzusuchen. Zumal der größere Teil der Gruppe ohnehin erst am
darauffolgenden Tag eintreffen würde. F-P müßte freilich schon
auf ihn warten, wie auch F. Daß er allerdings noch keine
menschlichen Spuren auf seinem Weg entdeckt hatte, verwirrte ihn
dann doch schon etwas. Und die Chance diese doch noch zu
entdecken, nahm von Minute zu Minute ab. Wie auch im gleichen
Intervall die Schneefallintensität zunahm.
Langsam befürchtete er, sich doch verlaufen,
oder genauer, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. Als er
dann allerdings in mitten der nun wieder mehr als drei mal so
hohen Bäumen angelangt war, sah er mit den letzten verfügbaren
Hellichkeitsspuren den Schatten einer Hütte zwischen den eng
stehenden Bäumen schimmern. Dann nahm unser Wanderer nur noch
schwach den Boden unter den Füßen, aber extrem stark den Wind
am ganzen Körper wahr. Jetzt bedauert er zum ersten Mal, daß er
nicht wenigstens eine kleine Taschenlampe mitgenommen hatte. Sie
hätte ihm wenigstens erspart, hin und wieder im immer dichter
werdenden Schneegestöber den Weg beizubehalten und nicht erst an
den spitzen Blättern der Nadelbäume seinen Fehler in der
Orientierung feststellen zu müssen. Nicht selten schmerzlich im
Gesicht. Welches ohnehin vom sprunghaft ansteigenden Frost geküßt
wurde.
Ihm blieb nun nur noch auf seinen
instinktiven Orientierungssinn zu vertrauen. Und darauf, daß er
kurz vor der Nacht nicht doch noch einen Abzweig übersehen hatte
und diesen dann entlang irren würde. Da schien ihm, als habe er
zwischen all den Nuancen der Schwärze der Nacht und des
schwarzen kaum zu unterscheidenden Grau des Schneefalles ein
kurzes Aufleuchten einer Gestalt gesehen zu haben. Doch blieb ihm
nicht viel Gelegenheit und Zeit, darüber nach zu denken. Zu sehr
mußte er sich auf den Weg konzentrieren. Auf einen Weg, den er
nicht einmal sah. Dennoch gab ihm diese nicht sichere Begegnung
eine Art Hoffnung, die richtige Strecke eingeschlagen zu haben.
Und tatsächlich hob sich bald aus dem Dunkel eine noch dunklere
Fläche ab, welche die Umrisse einer Hütte zu haben schien.
Unvermittelt stand er dann plötzlich vor
einer Wand aus grob behauenem Holz. Und fast genauso unvermittelt
trat er in einen gewissen Windschatten, die ihm Gelegenheit bot,
aufzuatmen. Auch wenn er gewiß sich noch nicht in Sicherheit wog.
Nachdem der Wanderer sich an der Holzwand
entlang getastet hatte, kam er endlich zu der Eingangstür. Doch
davor zu stehen und hinein zu gelangen können mitunter zwei
verschiedene Dinge sein. In diesem Fall erinnerte er sich eines
Bildes, wonach ein früherer Benutzer der Hütte den Schlüssel
in eine kleine Lade neben der Tür gesteckt hatte. Darauf
vertrauend, daß dies auch sein Vorgänger getan haben möge,
suchte der Wanderer nach jener Lade in der Wand. Und tatsächlich
fand er sie und fand sie gefüllt vor, mit jenem Schlüssel. Nun
konnte er endlich in den Schutz der Hütte eintauchen.
Knarrend schob sich die Tür von hölzernen
Angeln gehalten nach außen. Und mit dem gleichen Ton auch wieder
in ihren geschlossenen Zustand zurück. Der einsame Wanderer,
froh, das Unwetter hinter sich zu haben und vielleicht auch bald
ein warmes Bett als Lohn seiner Anstrengungen, stand zunächst
einige Augenblicke in der Dunkelheit seines neuen Domizils. Der
Wind draußen heulte unvermindert weiter. Das Knarren der alten Bäume
war selbst im Inneren der Hütte zu vernehmen und die Hütte
selbst gab an vielen Stellen hölzerne Töne von sich. So als
wollte sie alsbald bersten. Doch alles das nahm der Reisende kaum
wahr. Oder zumindest nahm er nicht wahr, daß es eben schier
unvermindert weiterging mit diesen Angstschreien der irdischen
Natur vor den Kräften des vom Himmel gesandten Sturmes. Er,
unser Wanderer nahm nur das Fehlen der körperlichen Gewalt des
Windes und der ihn begleitende klirrende Kälte wahr.
Dann rückte er sich jedoch in die
Wirklichkeit zurück und sah erst einmal, daß er nichts sah.
Denn im Inneren der Hütte war es noch dunkler als außerhalb.
Und da nutzte auch das angeborene Vermögen der Augen nichts,
sich nach einer Weile der Dunkelheit wenigstens ein Stück zu
erwehren. Hier standen seine Augen hoffnungslos auf verlorenem
Posten.
Gewohnheitsmäßig griff er mit seiner linken
Hand nach links, wo er den Lichtschalter vermutete. Doch da war
er nicht. Nicht weiter höher, nicht tiefer. Auch nicht weiter
vom Türrahmen entfernt. So drehte er sich nach rechts, um dort
jene bequeme Möglichkeit der Lichterzeugung sich nutzbar zu
machen. Allein die Hütte schien nicht viel von der
Bequemlichkeit seiner Besucher zu halten. Und so blieb unser
Wanderer weiter im Dunkel auf sich allein gestellt.
Langsam tastete er sich vorwärts, die Hände
ausgestreckt. Seinen Koffer ließ er am Eingang stehen. Aber noch
immer gewann er keinen Eindruck vom Inneren der Hütte. So schloß
er zusätzlich beide Augen, um irgend wie seinem Gefühl zu
folgen. Und sich während eines durchaus mögliche Sturzes noch
abfangen zu können. Doch zunächst gelang es ihm, bis zur gegenüberliegenden
Wand zu gelangen, ohne sich selbst Schaden zu zufügen.
Freilich war ihm dadurch auch nicht viel
weiter geholfen. Es blieb nur die Suche fortzusetzen.
Draußen schien der Wind nun doch endlich
etwas nach zu lassen Und das Trommeln der Eiskristalle an die
geschlossenen Fensterläden wich einem rauschenden Widerhall. Das
Knarren der Bäume und das Schlagen der Äste an die Wände der Hütte
hielt indes unvermindert an.
Inzwischen schien der Fremde den in die Mitte
der Wand eingelassenen Kamin erreicht zu haben. Denn die Finger
seiner linken Hand zuckten etwas zurück und ergriffen dann doch
den festen Sims der Kaminumrahmung.
"Hier hat schon lange niemand mehr Feuer
gemacht", offenbarte er sich selbst. Dabei mußte er lauter
gesprochen haben, als er es wollte. Denn er schreckte vor seiner
eigenen Stimme zurück.
Doch in der Tat fühlte sich der Kamin kalt
an und roch auch nicht mehr nach Ruß und Asche. Ihn somit
anzubekommen würde selbst dann nicht leicht sein, wenn unser
Fremder endlich das vermaledeite Licht gefunden hätte. So
stolperte er weiter durch die Dunkelheit und stolperte tatsächlich
nun doch über etwas hinweg. War es das obligatorische Bärenfell?
Der Kopf des Waldkönigs mit weit aufgerissenem Maul? Der
Tastende beugte sich nach unten, um sich über die wahre Natur
des Hindernisses klar zu werden. Dabei fühlte er einen recht
eigenartigen Pelz, der so recht gar nicht an ein Fell erinnerte.
Eigentlich erinnerte gar nichts an ein Tier. Und an ein
ausgestopftes erst recht nicht. Denn von diesem Ding da vor dem
erkalteten Kamin stieg eine leichte Spur von Wärme auf.
Er hielt nun beide Hände, die immer noch
steifgefroren einen permanent stechenden Schmerz ausstrahlten,
auf diese wohltuende Wärmequelle. Und tatsächlich tauten nicht
nur seine Hände auf, sondern ihnen voran sein ganzer Körper.
Das Gefühl der Wärme, die Erinnerung an Wärme, an alles andere,
als an diese ihn quälende Kälte, war schneller in seinem ganzen
Körper verbreitet, als sich die steifgefrorenen Hände dazu
bereit erklärten, endlich diese neue Temperatur zu akzeptieren.
Als sie es endlich taten und nur noch seine
Zehen wie in glühenden Nadelbetten staken, untersuchte unser Hüttengast
weiter die Quelle neuen Lebens. Es schien eine Heizdecke zu sein.
Doch dann müßte es auch Strom geben, und Licht. Er hatte sich
nur etwas hinuntergebeugt und verlor nun auf Grund eines anderen
Winkels etwas das Gleichgewicht und balancierte es aus, indem er
sich neben den mollig warmen Gegenstand kniete. Nun verspürte er
noch mehr von dieser Gastfreundschaft des Textils. Auch die Haut
seines Gesichtes erfuhr das schöne Gefühl, langsam aufzutauen.
Er griff sich ins Gesicht, um noch mehr Wärme mittels seiner Hände
zu transportieren. Aber das war noch zu früh, und so zuckte er
mit einem kleinen kaum hörbaren Schrei zusammen und zurück.
Hand und Gesicht waren noch nicht bereit sich gegenseitig zu berühren,
zu wärmen. Da bedarf es schon einer größeren Zuneigung, die
der Knieende im Gegenstand der vermutlichen Heizdecke sah. Also
schob er seine immerhin noch klammen Finger auf dem Boden aus
Dielen unter die Decke. Das schien zunächst keineswegs einfach.
Denn etwas schweres und doch nachgebendes versperrte ihm sein
ungehindertes Vorhaben. Als er dann glaubte, endlich weit genug
unter der Decke zu sein, wollte er sie anheben und seinen Antlitz
näherbringen. Doch auch das war leichter gesagt als getan. Etwas
mußte in dieser Decke eingehüllt sein. Etwas, das seine
momentanen Kräfte überstieg, Zumal er nicht gerade die fördernde
Stellung inne hatte. So zog er kräftiger an dem ihm Wärme
verheißenden Utensil und schlug die Balance verlierend vorn über,
ungebremst und blind. Bis zu einem Hindernis, dessen weitaus härtere
Beschaffenheit ihm die Sinne raubten. Erschöpft, verlor er den
unmittelbaren Willen und versank fast schon freiwillig in einen
tiefen Schlaf. Den letzten Gedanken an die ihn von unten wärmenden
Decke verschwendend.
Als er am Morgen darauf aufwachte, fand er
sich in einer wollenen Decke wieder. Noch immer hatte sich die
muffige Düsternis der scheinbar schon länger unbewohnten Berghütte
nicht gelegt. Noch immer schien jede Neuerung an der Sturheit des
alten Gebälks zu scheitern, das die ebenso alten Dielen, wie
auch die nur mittelmäßig behauenen breiten Bretter der Wände
gerade noch so zusammen hielt. Das freilich konnte man zur Zeit
nur erahnen. Denn obwohl es bereits Morgen war, fanden nur wenige
Lichtstrahlen den Weg in Innere, wo sie sich sogleich in ihrer
Einsamkeit verloren und erloschen.
Dabei war draußen genügend Licht vorhanden,
und auch bereits das mitgeführte Lodern der Märzensonne. Dort,
wo sich gerade kein Windhauch verlief, aber dennoch die Sonne
ihre Kinder in nahezu ungebremster Wucht tanzen ließ, geschah es
zuweilen, daß die eine oder andere Schneeflocke, die den weiten
Weg des nächtlichen Ausfluges gut überstanden hatte, nun doch
ihr noch junges Leben aushauchte. In einem letzten königlichen,
feengleichen Aufglitzern offenbarte es seine innere Kristallform
klar und jungfräulich, bevor es zum Abschluß seiner
Metamorphose zu einem Tropfen ebenso klaren Wassers mutiert, zu
Boden rann. Dort sich mit seinen Brüdern vereinte und einen
kleinen Rinnsal bildete.
Das alles geschah in fast lautloser Stille.
Wenn man davon absieht, daß sich bereits langsam einige jener
Tropfen darauf verständigt zu haben schienen, ihre noch nicht
verwandelten Verwandten mit zu Boden zu werfen. Und die so ihrer
nächtlichen Last befreiten Zweige der Nadelbäume schienen den
Reisenden zum Abschied noch nachzuwinken. Und mit einem kurzen
Rauschen aufzuatmen.
Von alledem war in der verschlossenen Hütte
nichts zu verspüren. Auch unsere langsam erwachende Logiergast
vermutet nichts davon. Zwar gewahr er, daß der Sturm
nachgelassen, nein völlig aufgehört hatte. Und selbst die
winzigen Lichtpartikel, die sich mit den Staubkörnchen in der
Luft einen lustigen Reigen leisteten, waren von ihm nicht übersehen
worden.
"Zeit, aufzustehen", beschloß er
und kroch unter der ihn die Nacht über wärmenden Decke hervor.
Ein leichter Schauer begrüßte seine Schultern, seinen Rücken
bis zu den Lenden hinab. Auch seine Beine schienen steif zu sein.
Nicht vor Kälte, denn das wollene Gewebe hatte ihn rundum
warmgehalten. Vielmehr, wie er jetzt feststellte, daß er auf dem
blanken Fußboden genächtigt hatte. Nur Schafhaar zwischen sich
und der Dielung.
So streckte der neue Bewohner seine
angewinkelten Arme in langsamen Wellen von sich, drehte seinen in
den Nacken gelegten Kopf hin und her, wippte dabei ein wenig in
den Knien und breitet dann doch beide Arme weit von sich weg. Ein
letztes Mal in das Hohlkreuz fallend, genoß er die erwachenden
Kräfte seines Körpers. Nun fehlte nur noch die eigentliche
Morgentoilette, um ihn auf den neuen Tag einzustimmen.
Ein neuer Tag hat jedoch zumeist auch ein
neues Licht und daran mangelte es noch um den jungen Mann herum.
So ergriff er endlich wieder die Kontrolle über den Fortgang der
Geschichte und steuerte vorsichtig die Eingangstür an. Nicht
vorsichtig genug, denn fast wäre er noch über seinen eigenen
Koffer gestolpert. Kopfschüttelnd schob er diesen dann verächtlich
mit seinem rechten Fuß nach rechts zu Seite und stützte sich
mit seiner rechten Hand an der Wand unmittelbar neben der Tür ab.
Er wußte um die Blendwirkung frisch gefallenen Schnees;
besonders wenn die Augen aus nahezu völliger Dunkelheit kommen.
So schloß er sie sogar ganz, bevor er die Tür nach außen schob.
Zumindest es vorhatte. Denn allzuviel hielt der Schnee an der
gegenüberliegenden Seite der Holzpforte nicht davon, ohne
weiteres klein beizugeben und sich wegschieben zu lassen.
Unser Freund öffnete nun doch langsam seine
Augen, um das Ausmaß des neuen Hindernisses zu erfassen. Der
geringe Spalt, den ihm der Schnee eingestand, hatte auf ihn
mehrerlei Wirkungen. Einmal genügte die einfallende Sonnenflut völlig,
ihm seine Lider wie Jalousien herunter fahren zu lassen. Zum
anderen zeigte diese Flut ihm dann aber auch einen Weg zu dem nächsten
Fenster auf der linken Seite des Hüttenfoyers. Sein Gesicht in
beide Hände nehmend und leicht auf die Augäpfel drückend,
bereitet sich der Besucher auf sein nächstes Vorhaben vor, der
Lichtmauer entlang sein Glück an jenem Fenster wieder zu finden.
Er ging gemächlichen Schrittes auf jene
zweite Variante zu, die ihm der Wanddurchbruch möglicherweise
bieten könnte. Direkt vor dem Fenster mußte er noch eine hölzerne
Bank, mehr eine Verbreiterung der Wand oder aber auch eine
schwere Truhe bezwingen. Er kniete sich einfach darauf und
untersuchte den Schließmechanismus des Fensters. Das Glasteil
war dabei noch am leichtesten zu überwinden.
"Das hat mir gerade noch gefehlt",
entfuhr es leise seinem bärtigen Mund, denn zwar fand er eine
metallene Klammer, die dem Öffnen des Fensterladens von außen
standhielt, doch nach dessen Entriegelung war der nun
eingeschlossene Nachtgast nicht viel weiter seinem Ziel entgegen,
endlich mehr Licht in seine stille Hütte hereinzulassen. Denn
das winterfest gemachte Fenster hatte auch außen eine Bewährung.
Niedergeschlagen setzte sich der
eingeschlossene Wanderer auf den Absatz vor dem Fenster und überlegte
doch, wie er sich aus dieser Lage befreien könne. So saß er
reglos in sich versunken. Doch nur kurz. Denn jener Zweig, welche
am nahestehenden Baum mit seiner weißen Pracht ebenfalls nur ein
Stück Licht hindurch ließ, hatte endlich genug von seiner Last
und entledigte sich ihrer. Das hatte zur Folge, daß auch das in
die Hütte einfallende Licht an Kraft gewann. Es beleuchtete nun
einen etwas breiteren Streifen seines Weges. Da fiel des Mutlosen
Blick auf eine nun sichtbare Tischecke, die schwach von dem
Lichtschein berührt wurde.
Da fiel des Mutlosen Blick auf eine nun
sichtbare Tischecke, die schwach von dem Lichtschein berührt
wurde. Ausreichend genug, um den Tisch als solchen zu
registrieren. Der Wanderer erhob sich wieder und tastete sich an
den Tisch heran. Dort angelangt. fuhr er sorgfältig mit beiden Händen
über die Tischplatte und fand tatsächlich etwas, daß sich wie
ein Kerze anfühlte. Nun benötigte er nur noch eine offene
Flamme, um die Kerze auch zu entzünden.
Eigentlich hatte er nie bereut, daß er
bereits vor zehn Jahren, oder länger, mit dem Rauchen aufgehört
hatte. Heute war er sich da aber nicht mehr so sicher. Denn ein
Raucher hat meistens auch etwas zum Feuer machen bei sich. Doch
so hieß die Parole: Weitersuchen!
Jede Pechsträhne sollte auch mal ein Ende
haben. Auch wenn dieses meist länger auf sich warten läßt, als
das Ende einer Glücksträhne. Für unseren Eingeschlossenen war
sie indes in dem Moment vorbei, als er ein kleines Schachtelchen
ergriff, das sehr wohl die Größe einer Streichholzschachtel
haben dürfte.
Schnell öffnete er das Rettung verheißende
Etui und entnahm ihm eines der tatsächlich darin enthaltenen Hölzchen.
Da sich ein solches an der Zündstelle immer etwas anders anfühlt,
konnte schnell die richtige Seite gefunden und alsbald auch ein
Funken, eine Flamme, eine brennende Kerze hervorgezaubert werden.
Nun beleuchtete ein zwar flackerndes, aber
immerhin ausreichendes Licht die karge Stube. Vor dem Kamin, wo
noch immer die Decke lag, war eine große freie Stelle. Abgesehen
von einem Schemel, an dessen Sitzfläche er sich wohl tags zuvor
den Kopf angeschlagen hatte. Genau dem Fenster gegenüber, an dem
er gegenwärtig stand, befand sich ein zweites. Müßig für ihn
anzunehmen, daß sich dieses leichter öffnen ließe. Und unter
diesem Fenster eine eben solche Truhe, wie er selbst auf einer
gesessen hatte. Neben dem einzigen Tisch im Raum, waren dann nur
noch drei Stühle an diesem angelehnt, jedoch auf der ihm
abgewandten Seite, so daß er sie im Dunkeln nicht hatte fühlen
können.
Links und rechts neben der Wand, in welche
der benannte Kamin eingelassen war, konnte der Wanderer nun noch
jeweils eine Tür sehen, deren andere Seite ihm allerdings noch
verborgen blieb, da sie geschlossen waren. Jetzt hieß es also,
sich für eine der beiden Türen zu entscheiden und er entschied
sich für die naheliegende, also linke Tür. Vorsichtig, mit
einer Hand die Kerze haltend, mit der anderen, rechten sie vor
Zugwind schützend, schritt er auf diese Pforte zu. Dort öffnete
er sie mit seinem rechten Ellbogen. Was sich als relativ leicht
herausstellte, da es nur eine Wendeltür war.
Im Nebenzimmer angekommen fand er
augenblicklich eine nach oben führende Treppe vor, die
ihrerseits ebenfalls um ihr Zentrum drehte. Alles andere außer
acht lassend, stieg der Besucher die recht schmalen Holzstufen
empor. Immer darauf bedacht, das Licht möglichst nicht wieder zu
verlieren.
Oben fand er sich in einer Art Schlafzimmer
wieder, worin zwar Betten standen, deren Decken und Kissen
allerdings nicht bezogen waren. Das interessiert ich indes
momentan weniger. Er suchte ein zu öffnenden Fenster, da er
annahm, daß die oberen nicht derart gegen Witterungseinflüsse
geschützt seien. Und tatsächlich hatte er an der Stirnseite ein
solches entdeckt.
Nun war es nur noch eine Frage der Zeit und
er hatte endlich das Licht der Außenwelt um sich herum. Die
Wachskerze hatte ihren Zweck erfüllt und konnte ihrerseits
wieder "schlafen gehen".
Unser Entdecker verschaffte sich alsbald
einen gewissen Überblick. So weit dies von seinem Fenster aus
ging. Doch was er sah, war nicht gerade berauschend für einen
Reisenden, der nur mal kurz ein Wochenende unter Freunden
verbringen wollte. Obwohl ein verzauberter Märchenwald sich
seinem Blick bot, kam keine romantische Stimmung in ihm auf. Zu
viele Fragen waren noch zu klären.
Wie kommt er nur aus dieser Hütte, denn für
einen Sprung in den sicherlich weichen Schnee konnte es zu gefährlich
sein und herunterklettern ging auch nicht. Zu glatt schienen ihm
die Wände. Aber wenigsten hatte er jetzt hier oben Tageslicht.
Doch nun machte sich langsam die Natur des
Menschen bemerkbar und sein allmorgendliches Bedürfnis wuchs zu
einem echten Problem heran. In das dunkle Erdgeschoß mochte er
aber nicht mehr hinab und hier oben war die Suche zu mühselig.
Da fiel sein Blick auf eine Luke in der Decke des Zimmers. Er
hatte sie vorher übersehen, weil sie rückwärts von ihm zu
finden war. Nun erwachte erneut sein Forschergeist und
Erfolgsdrang. Schnell hatte er sogar die seitlich liegende Stange
gefunden, womit sich die Klappe herunterholen ließ.
Tatsächlich stellte sich dieses zur
Abwechslung mal nicht als schwieriger als gedacht heraus. So fuhr
die Abdeckung herunter und ihr folgte eine ausfahrbare Leiter.
Diese war ebenso schnell arretiert und er die Sprossen hinauf.
Die Luke hatte einen kleinen Aufbau verdeckt, welcher genau an
der Esse des Kamins angefügt und oben mit einem Ausstieg für
den Schornsteinfeger versehen war. Diesen Ausgang nutzend,
befreite sich unser Gefangener endlich aus seiner momentanen Lage.
Zumindest aus dem Eingesperrt sein.
Ihm schlug eine warme Sonnenflut entgegen,
aber auch rückwärts ein noch kaltes Lüftchen, so frei oben auf
dem Dach. Dies jedoch nicht weiter beachtend, schaute er sich
nach den nächsten Schritten um. Er müsse doch nun endlich ...
Da glitt er auf dem im tauen begriffenen Schnee aus und jede
weitere Suche nach einem Abstieg erübrigte sich von selbst.
Bevor er so recht wußte, wie ihm geschah, rutschte unser
Kletterer die Schräge des Daches hinab um letzten Endes in einem
freien Fall von drei Metern im tiefen Schnee zu landen. Seinem
Quantum Glück war es zu verdanken, daß er einmal an dieser
relativ flachen Stelle vom Dach fiel und daß auch unter dem
Schnee nichts spitzes verborgen war. So tat er sich dabei nicht
einmal weh.
Aus dem Schnee aufgerappelt, stellte er sich
zunächst einmal an eine windgeschützte Stelle des Holzhauses
und verrichtete seine flüssige Notdurft. Dann bedeckte er die
Stelle mit etwas Schnee.
Nun kam es für ihn weiter an, wieder in die
Behausung zu gelangen. Das würde zumindest an der Tür nicht
ganz einfach sein, wie er feststellte. Denn tatsächlich hatte
sich eine gewaltige Wehe vor den Eingang gelegt. Blieb also nur
noch das Fenster. Das von innen bereits geöffnete und noch immer
freizugängliche Fenster. Unser nicht gerade winterfest
gekleidete Wanderer stapfte in seinen immerhin mehr als knöchelhohen
Wildlederstiefeln durch die weiße Pracht um die nächste
Hausecke herum und kam tatsächlich zu dem betreffenden Fenster.
Seine Vermutung hatte sich bestätigt, daß ein Querholz das Öffnen
des Ladens von innen verwehrte. Mit einem kräftigen Ruck war
allerdings auch dieses Problem behoben und er konnte von außen
in das sich nun schlagartig mit Licht füllende Zimmer blicken.
Noch zog er sich freilich nicht wieder in das
Innere zurück, sondern wollte alle Laden der Hütte von außen
entriegeln. Dieses umgehend ausgeführt, kam er wieder an seinem
offenem Fenster an. Wo er nun endlich wieder hinein stieg, um
sich dort genauer umzusehen und einen "Schlachtplan" zu
entwerfen. Als erstes schloß er das Fenster hinter sich und ging
zu dem gegenüberliegenden Ausblick. Das Fenster schnell geöffnet,
der Laden zur Seite gedreht und das Fenster selbst wieder
geschlossen. Und da jetzt noch mehr Licht in der Hütte war,
konnte er sich ein genaueres Bild von dem Raum schaffen, welchen
er vor nicht einmal einer viertel Stunde nur kurz im Kerzenschein
gesehen hatte.
Aber da drängte sich noch etwas anderes in
seine Gedanken. Just in dem Moment, als er zu seinem Koffer ging,
um wenigstens seine Toilettenutensilien herauszunehmen, und an
der fast in Vergessenheit geratenen noch immer am Boden liegenden
Wolldecke vorbeikam, erinnerte er sich der vergangenen Nacht.
"Wie bin ich eigentlich in die Decke
geraten?" fragte er sich und nahm das Accessoire auf.
Sie war inzwischen erkaltet, auch wenn in
ihrem Inneren noch immer mehr Wärme vorhanden war, als im
sonstigen Raum. Wiederum abgesehen von den wärmenden Strahlen
der Sonne, die noch immer durch den kleinen Spalt im Hütteneingang,
drang. Wegen des veränderten Standes der Sonne nun natürlich
einen auch veränderten Ausschnitt des Fußbodens erwärmend.
"Und was war das so schweres in der
Decke?" erinnerte er sich der Schwierigkeit, diese Decke
anzuheben. Er untersuchte die Stelle, an welcher die Decke
gelegen hatte, doch nichts deutete daraufhin, aus welchem Grund
er sie des Nachts nicht aufnehmen konnte und schon gar nichts,
weswegen sie im kalten Zimmer eine so angenehme Wärme
abgestrahlt hatte.
Schließlich legte er sie achselzuckend
zusammen und auf der Bauernkiste unterhalb des rechten Fensters
ab. Nun noch schnell seinen Koffer geholt, auf dem Tisch geöffnet,
die Tasche mit den Artikeln zur Morgenhygenie herausgenommen und
dem bislang noch nicht erkundeten rechten Zimmer neben dem Kamin
einen Besuch abgestattet. Das vollzog sich in einer fast schon
automatischen Abfolge. Ohne daß er unterdessen weitschweifenden
Gedanken nachhing.
Jenes Zimmer offenbarte ihm zunächst den
vermuteten Eindruck. Ein großer Bauernschrank, unbemalt und so
dem Design der gesamten Hütte angepaßt, ließ zwar vom
Raumeingang keinen Blick in sein Innerstes zu, doch die leicht geöffneten
Türen zeugten davon, daß er dem Gast einladend gesinnt war.
Dieser Gast machte auch sogleich davon Gebrauch, indem er einen
Blick hinein wagte. Blecherne Töpfe, hölzerne Teller und Becher,
sowie ein ganzes Sortiment üblicher Küchenutensilien war zu
finden. Der Logiegast schloß die Türen und wandte sich einem an
der Stirnseite befindlichen Fenster zu. Auch dieses war noch
immer mit dem Holzladen von außen verschlossen. Doch ein Griff
genügte und auch die Küche wurde nicht mehr nur von dem durch
die Tür eindringenden Licht erhellt. Unmittelbar neben dem
Fenster war ein schlichtes Waschbecken aus bereits alt wirkendem
Porzellan befestigt. Alt wirkend, nicht aber unsauber. Wie überhaupt
die verlassene Hütte einen überaus gepflegten Eindruck
hinterließ.
Nun hieß es für den Fremden, sich dem
Beschaffen frischen Wassers zuzuwenden. Doch welche Überraschung!
Da stand ein gefüllter 10-Liter Eimer mit sauberem Quell. Der
Mann neigte sein Gesicht der Flüssigkeit zu, um die Qualität zu
prüfen. Kein Zweifel, das Wasser schien erst vor kurzem in den
Eimer gelangt zu sein.
"Seltsam", entfuhr es dem Reisenden,
der still für sich die Zusammenhänge zu erforschen suchte.
Unterdessen nutzte er die Zeit, um sich endlich seines
Nachtgeruches zu entledigen.
"Brrrr!" So kalt hatte er die
Umgebung gar nicht mehr empfunden. Auch wenn er gestern fast
einer Erfrierung erlegen wäre, so hatte ihm doch heute morgen
die Suche nach einem Ausweg unmerklich eingeheizt. Daß er jetzt,
bar seiner Oberkleidung den kalten Schauer einer seit langem
ungeheizten Holzhütte empfand, ist mehr als verständlich. Und
doch widmete er seine Aufmerksamkeit nicht ausschließlich diesem
ihn überwältigenden Schauer. Ein seitlicher Blick zum Wasser
ließ ihm nicht verstehen, weswegen das Wasser nicht einmal einen
geringen Eisfilm aufwies.
Von der verbrauchten Luft seiner Übernachtung
befreit, konnte er nun wieder etwas klarer denken. Und er begann
sich, mit dem Vorgefundenem zu arrangieren. Er nahm etwas von dem
frischem Wasser und goß es in einen vorhandenen urtümlichen
Wasserkocher, um sich nun auch vermittels eines heißen Getränkes
auch innerlich zu erwärmen. Doch halt, womit sollte er dem
Wasser einen Geschmack geben. Nicht auf eine derartige
Abgeschiedenheit vorbereitet, hatte er natürlich keinen Kaffee
oder Tee bei sich. Und zu Essen auch nur eine bereits
angebrochene Keksrolle. - Glücklicherweise fand er im besagten
Bauernschrank, hinter einer Extratür, eine kleine Blechdose mit
noch verwendbarem Tee. Das innerliche Einheizen schien gerettet,
sobald er eine Möglichkeit gefunden hatte, auch das dafür
notwendige Feuer zu entfachen.
Ja, Feuer! Wo war der Ofen? Unser Besucher
fand lediglich eine schmiedeeisernen Tür, welche in die einzige
aus Steinen erbaute Wand eingelassen war. Diese Eisentür verbarg
den Durchgang zum Kamin, in welchem man an einer querlaufenden
Stange Töpfe oder eben diesen Wasserkocher aufhängen konnte.
Eine jetzt erst von ihm registrierte eiserne Stange sollte dabei
wertvolle Hilfe leisten können.
"So wird das also gehandhabt",
stellte er fest und gewöhnte sich langsam an das ihm aus der
modernen Zeit unbekannte Naturell der Hütte. "Jetzt brauche
ich nur noch Feuer."
Zwar fand er schnell ein wenig trockenes
Reisig, um ein Feuer erst einmal in Gang zu bekommen. Doch das
genauso wichtige Brennmaterial für Essen- und Hauserwärmung
fehlte in der Küche. Auch ein schneller Blick in das Foyer der Hütte,
dem eigentlichen Wohn- und Aufenthaltsraum, veranlaßte ihn nicht
gerade zu Jubelschreien. Der zur Lagerung hierfür verwendbaren
Brennmaterials vorgesehen Platz war vollkommen verwaist.
Abgesehen von ein paar zu vernachlässigen Spänen. Also mußte
er sich wieder hinaus begeben, um das sicherlich doch vorhandene
Brennmaterial von außen zu holen.
"Hoffentlich muß ich nicht noch einen
Baum fällen", entfuhr es ihm, der diesem wiederum
leidlichen Rückschlag noch nicht die rechte Romantik abgewinnen
konnte.
Er stellte den Topf mit dem Wasser wieder ab
und zog sich seinen leichten Anorak über. Dann stieg er wieder
aus dem ihm noch immer allein zur Verfügung stehenden Ausgang.
Die Dachluke mal ausgenommen. - Halt! die war ja noch offen. Also
noch mal schnell zurück und die Treppe hinauf. Oben dann den
Essenkehrerausgang verschlossen, die Leiter eingefahren und die
Klappe wieder in die ursprüngliche Position zurück gebracht.
Dann erst begab er sich nach außen, um unter dem Schnee der
vergangenen Nacht nach etwas Brennbarem zu suchen.
Unser Wanderer besann sich auch sofort, daß
er doch bei seinem Rundgang, um alle Läden zu entarretieren,
einen kleinen Verschlag gesehen hatte. Etwas abseits und neben
einem hölzernen Abort. Dorthin begab er sich und mußte
feststellen, daß trotz des einsetzenden Tauwetters noch jede
Menge Schnee von den beiden Eingängen zu beseitigen waren, wenn
man sie nutzen wollte. Doch wie beseitigt man eine Packung Schnee,
wenn man nichts weiter als seine Hände hat. Na klar, mit seinen
Händen. Aber so weit quälte ihn sein Wochenendschicksal denn
doch nicht. An der linken Wand des Holzverhaus war eine breite
Schaufel zu finden. Eine Schaufel aus dem hier üblichen Material.
Hurtig nahm er sie zur Hand und schaufelte kräftig die weiße
Pracht zur Seite. Selbstredend nicht gerade vor die Tür des
"Donnerbalkens".
Langsam wurde ihm nun auch wärmer und das
Sprichwort, wonach ein fester Brennstoff mehrmals heizt,
bewahrheitete sich bei ihm auf nun wohltuende Weise.
Dank der großen Fläche der Schaufel, was es
ihm bald gelungen, die Verwehung zu beseitigen und er konnte den
Verschlag betreten. Die Sonnenstrahlen fanden auch hier hinein
nur vereinzelte Wege, doch bot sich dem Betrachter ein ganz
anderes Bild. Von der Arbeit angenehmer Belastung aufgewärmt,
fand der Mann sogar noch die Muse, sich an dem Glitzerspiel des
eintauchenden Lichtes zu erfreuen. Und an dem Widerschein
einzelner Eiszapfen, die sich zunehmend in Größe und Anzahl
verringerten.
Nach diesem Moment der Muse, begab sich der
Brennstoffsucher wieder zu seiner Aufgabe zurück und erblickte
dann auch einen großen Stapel Holz. Dieses war zwar zu Stücken
von etwa einem halben Meter geschnitten, doch nicht zu leichter
entzündbaren Scheiten gespaltet. So kam eine weitere Aufgabe auf
den "Einsiedler" zu, welcher wenigstens sofort die dafür
vorgesehene Axt fand. Doch wo sollte er das Holz spalten? Der
Brennstofflagerraum war nicht hoch genug, um zum Schlag kräftig
auszuholen. Auch war kein Hackklotz zu erspähen. Also wieder
hinaus in das feindliche Leben und die ohne Zweifel vorhandene
Vorrichtung gesucht; und gefunden. Freilich mußte auch hier
wieder die Schneeschaufel ihnen Einsatzwillen unter Beweis
stellen. Doch bereits darin geübt, war bald der Klotz von des
Winters Pracht befreit. Nun konnte auch ein entsprechendes Pensum
an Feuerholz gespaltet werden. Wie groß dieses Pensum allerdings
sein würde, sein müßte, sollte sich später herausstellen.
Unser Wanderer hatte zwar schon eine gewisse Erfahrung im Umgang
mit Brennholz, doch nicht auf diese ursprüngliche Verwendungsart.
Als sich dann nach einer zeitlosen Zeitspanne
der Magen des Holzhackers bemerkbar machte, und er zum ersten Mal
an diesem Tag eigentlich bewußt nach seiner Armbanduhr schaute,
mußte er feststellen, daß es bereits Nachmittags war. Wohin die
Zeit verschwunden war, konnte er sich allerdings nicht vorstellen.
Es schien ihm aber auch zu belanglos in seiner Situation.
Das Holz, welches er zunächst aus dem
Verschlag geholt und dann gespalten hatte, mußte nun auch noch
ins Haus transportiert werden. Mühsam und doch schon von der
Holzhackerei entkräftet, bedarf es dennoch dieser weiteren
Anstrengung. Mit weichen Knien, das Hungergefühl mühsam unterdrückend
und bestrebt, bald im warmen Zimmer entspannen zu können, bahnte
er sich zunächst noch mehr recht als schlecht, einen Weg zum
Eingang der Hütte. Das stellte sich direkt an diesem freilich
sehr zeitaufwendig heraus, zumal in der Ferne schon wieder eine
dunkle Front von Wolken, dem Sonnentag im März drohte. Also
brach der Hüttenbewohner seine Arbeit ab und konzentrierte sich
auf den Transport der Holzes.
Immer wieder ging er zu den Holzscheiten und
brachte sie an das rechte Fenster, welches der Stall-Abort-Kombination
am nächsten lag. Als er alles an das Fenster gelegt hatte,
verschloß er noch den Lagerschuppen und umrundete das Haus,
wieder am nur angelehnten Fenster einzusteigen. Drinnen verschloß
er zunächst dieses, dann die Eingangstür, durch welche die
bislang von außen einströmende Sonnenwärme verloren hatte und
öffnete nun endlich das andere Fenster, um die Scheite hinein zu
holen. Dazu stellte er sich auf die Bauerntruhe, von welcher er
zuvor jene wollene Decke auf die Dielung weggelegt hatte. Dann
beugte er sich durch geöffnete Fenster und barg ein Stück Holz
nach dem anderen.
Schließlich hatte er alles drinnen und schloß
sich wieder von der Außenwelt ab. Noch schnell die Scheite an
die dafür vorgesehene Stelle gebracht, in Vorfreude auf die zu
erwartende Wärme aufgeatmet, einen mit Schokolade gefüllten
Doppelkeks verspeist, um den Magen wenigstens zu betäuben und
dann die ersten Schritt zum Entfachen des Kaminfeuers in die Wege
geleitet.
Das Reisig und die gefundenen längeren
Kaminstreichhölzer waren schnell bereitgelegt.
Bereitgelegt, um es sogleich in der Mitte des
Kaminbodens aufzuhäufen. Dann noch ein paar größere Späne
drauf und dann "richtiges" Holz. Die gröberen Stücke,
die dann erst die richtige Wärme bringen, würden erst zu dem
Haufen stoßen, wenn das Feuer bereits brennt.
Doch wer hat schon einmal einen kalten Kamin
angefeuert? Noch dazu, wenn sich der nahende Sturm einen Spaß
damit zu machen scheint, auf einen ungünstigen Luftdruck zu
achten. Außerdem wurde es schon wieder dunkel.
Der Mann kniete sich vor den offenen Kamin und
führte langsam das brennende Streichholz dem Reisighaufen
entgegen. Tatsächlich fing das aufgeschüttete Holz auch Feuer,
doch so richtig breitet es sich nicht über den gesamten Haufen
aus. nur das gerade mit der Flamme in Berührung gekommene Stück
glomm hell auf, um dann außerhalb der Streichholzflamme wieder
in sich zusammen zu sinken. Unser Einsiedler warf das fast
verbrauchte Zündholz in die Kamin und steckte seinen Kopf
hinterher. Wenn es einen Zug in diesem lange nicht mehr
gebrauchten Abzug gab, dann nicht von unten sondern in
entgegengesetzter Richtung.
"Kein Wunder, daß es nicht brennt",
sagte er zu sich und schaute nach oben, ob es da nicht irgend
eine Möglichkeit gäbe, dem abzuhelfen.
Inzwischen hatte sich draußen der Sturm zu
einem weiterem Orkan entwickelt. Und die Bäume ächzten weitaus
mehr, als am Tage zuvor. Man wäre mit seiner Sorge nicht zu weit
von der Realität entfernt, bekäme man Angst um die Stabilität
der Hütte. Doch sie hielt sich bislang tapfer. Auch wenn sie
ordentlich durchgeschüttelt wurde und ebenfalls laut in ihrem
Holze aufschrie.
Das alles nahm der trotzig um Feuer bemühte
Mensch nicht wahr. Er suchte und fand endlich auch an der Seite
der Esse eine metallene Stange, welche nach oben führte. Mit dem
zur Verfügung stehenden Schürhaken war es keine Schwierigkeit,
diese Vorrichtung zu betätigen und bald spürte selbst der Mann,
daß der Gegenzug nachließ, aufhörte und ein kleines Feuerchen
sich aus dem Reisig arbeitete.
Vorsichtig wurde daraufhin noch ein paar
kleinere Stückchen Holz nachgelegt und bald konnten diese Stücke
größeres Ausmaß annehmen. Und nachdem sie richtig Feuer
gefangen hatten und sich bereits eine Wärme vor dem Kamin
ausbreitete, legte der Mann endlich die eigentlichen Scheite in
die Flammen. Dann wandte er sich dem linken Fenster zu. Draußen
schien die Welt untergehen zu wollen. Unterzugehen in einem
erneuten Blizzard. Kopfschüttelnd zog sich unser Freund von der
nicht erfreulichen Aussicht zurück, nachdem er den festen Sitz
des Fensters geprüft hatte. Verständlicherweise fand er nützlich,
zu versuchen, das Wetter draußen zu lassen. Dann begab er sich
in die Küche, um dort sein morgendliches Unternehmen, sich heißes
Teewasser zubereiten, abzuschließen. Dabei stellte er fest, daß
diesmal das Wasser in jenem Eimer bereits eine Haut zarten Eises
aufwies. Es erstaunte ihn somit noch einmal, daß dies am Morgen
nicht der Fall war. Aber er hielt ihn nicht davon ab, sich nun
doch den Wassertopf seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen.
Dabei verwendete er die bereits erkundete Vorrichtung, den Kamin
auch von Seiten der Küche zu benutzen. Schnell hatte er auch die
gefundene Packung Tee vorbereitet und die mitgebrachten Backwaren
auf einen Holzteller ausgebreitet. Kopfschütteln maß er die
Menge seiner zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel. Und sein
Magen tat gleiches. Wenn er nicht des Morgens einen Weg fände,
entweder von hier fortzukommen oder wenigstens doch noch etwas eßbares
zu finden, würde es für den Mitteleuropäer, der nicht gewohnt
war, längere Zeit ohne Nahrung auszukommen, ziemlich schmerzhaft
werden.
Doch dergleichen Gedanken wollte sich unser
Abenteurer nicht weiter aussetzen und nahm etwas praktischeres in
Angriff; das Herrichten eines Nachtlagers. Schließlich wollte er
nicht noch einmal auf dem Fußboden vor dem Kamin schlafen.
Er nahm vorsorglich eine brennende Wachskerze
mit ihrem Kerzenhalter und stieg wieder die sich wendelnde Treppe
zum Schlafzimmer hinauf. Dort war es bereits wieder stockdunkel
geworden, als habe jemand draußen das Licht ausgeschaltet. Aber
unser Freund interessierte auch das nicht mehr. Er versuchte
seinen Plan durchzusetzen und über alle Widrigkeiten hinweg
diese zu überwinden. Wundern tat er sich schon lange nicht mehr.
Die Kerze fand ihren Platz auf einem kleinen
Bord an der gemauerten Wand, in welcher der Kaminabzug entlang
lief. Eine ebenfalls schmiedeeiserne, allerdings nicht zu öffnende
Klappe ließ bereits einiges der nach oben steigenden Wärme des
offenen Feuers in das Zimmer hinein. Solange das unten brennende
Holz Wärme abgab, solange würde auch im oberen Zimmer kein
Frost herrschen. Und wenn die Temperaturen dem Morgen zu doch
etwas sinken würden, weil die dann glühenden Kiefernscheite zu
Asche geworden waren, würde das bezogene Bett ihm noch genügend
Energie erhalten können. Doch hierfür mußten die unbezogenen
Betten erst noch eine entsprechende Umhüllung erhalten.
Neben dem gemauerten Stück der Wand, etwa in
gleicher Position wir unterhalb die Küchentür, befand sich auch
hier ein noch verschlossener Durchgang, denn unser Wanderer
bislang noch nicht als erkundenswert erachtet hatte. Nun nahm er
sich jedoch die Zeit, zumal anderswo keinerlei Bettwäsche zu
finden war. Tatsächlich befand sich hinter der hölzernen Tür
ein weiterer Raum mit viel Platz in Regalen, um dort etwaige persönliche
Gegenstände abzulagern. Doch Platz war nicht gerade das, was
unser Mann momentan am nötigsten vermißte.
So verlor er keine Zeit in diesem ihm gegenwärtig
unnützen Zimmer, zumal er sich der beiden Holztruhen im
Eingangsraum der Hütte erinnerte. Vielleicht mochte dort etwas
zum Umhüllen der groben Betten mit unbekanntem Inhalt zu finden
sein? Also erneut die Treppe hinunter und nachgeschaut. Tatsächlich
war ihm hierbei das Glück hold. Ob nun die Besitzer oder
Betreiber der Hütte ständig saubere Bettwäsche für derartige
Besucher bereitgelegt haben oder ob sie eben nur für sich selbst
so verfuhren, sei dahingestellt. Es bedeutete auch für unseren
Freund keinen Unterschied. Er nahm eine Packung heraus, bestehend
aus Laken, Bett- und Kissenbezug. Dann schloß er die Truhe
wieder und stieg, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen wieder
hinauf. Nicht ohne vorher nach Feuer und Wasser zu sehen. Oben
angelangt machte er sich an dem einen der beiden Betten zu
schaffen.
Als er gerade das Laken straff und glatt
gezupft hatte, schaute er unbewußt aus dem Fenster an seiner
Schulter hinaus. - Und stutzte. Erschrak! Zwischen all dem
Unwetter da draußen, zwischen den sich in höher werdenden
Schneewehen verlierenden Nadelbäumen schien sich eine
menschliche Gestalt ebenfalls zu verlieren. Oder war es nur ein
Trugbild? Denn schon war es wieder Weg. - Um kurz darauf hinter
einem scheinbar tiefen Berghang wieder allein mit dem Kopf
aufzutauchen. - Nein, nicht gehend, nicht einmal sich schleppend,
vielmehr auf allen Vieren durch den tiefen Schnee. Immer in der
Gefahr, selbst in dieser eigentlich windschlüpfrigen Stellung,
vom Sturm hinweggefegt zu werden.
Der Mann am oberen Fenster der Holzhütte sah
dem Treiben ein paar Sekunden zu. Ihm schien es später, als
seien es Stunden gewesen. - Alles von sich werfend stürzte er
dann aber doch aus dem Schlafgemach, die Treppe halsbrecherisch
und doch wohlbehalten hinunter, ergriff seinen Anorak und stürmte
zur Tür hinaus. Doch halt, sie war ja immer noch von außen
durch die Schneewehe verriegelt.
"Verflucht!" schrie er auf, nachdem
er seine Geschwindigkeit und Aufprallkraft falsch eingeschätzt
hatte und gegen das feste Holz krachte. Und "Verflucht!"
schrie er auch auf, weil er so dem notleidenden dort draußen
nicht schneller zu Hilfe eilen konnte.
Also mußte er wieder aus dem Fenster klettern
und hinter sich die Laden verriegeln. Bereits als er auf der
windabgewandten Seite ins Freie kam, durchfuhr ihn ein stechender
Schmerz aus Kälte und Erschöpfung. Und als er dann noch in die
vom Sturm eroberte Zone kam, schlug ihn dieser mit alle seiner
Kraft zu Boden. Doch dieses konnte den Menschen nicht von seinem
Weg abbringen. Nun selbst auf allen Vieren schleppte er sich zu
den wild hin und her geworfenen Kiefern. Trotz der Peitschenhiebe,
die sie ihm mit ihren krallenbesetzten Zeigen zufügten, fühlte
er sich dort sicherer als auf dem freien Weg, den er
wahrscheinlich nicht lebend überstanden hätte.
Vom ohrenbetäubenden Lärm zusätzlich
geschunden konnte er sich dann sogar an einem der Bäume
aufrichten und schneller zu der Stelle gelangen, an welcher er
die bemitleidenswerte Gestalt vermutete. Noch sah er sie nicht
und auch keine Spur von ihr. Er war sich auch nicht einmal sicher,
ob er wirklich in der richtigen Richtung suchte. Denn von hier
sah alles so viel anders aus, als durch das Fenster im relativ
warmen Haus. So irrte er bald wahnsinnig vor Angst durch die
eisige Finsternis, noch immer von allen Seiten ausgepeitscht. Ob
sein Anorak dabei zu Schaden kam, interessierte ihn nicht. Es hätte
ohnehin nichts geändert. Da endlich, als er sich schon fragte,
ob er sich die Gestalt nur eingebildet hatte, war ihm von neuem
gegenwärtig, eine Bewegung vor sich gesehen zu haben. Ein
Bewegung mitten im Sturm. Das konnte alles mögliche bedeuten.
Eine Windhose mitten im Blizzard ist nichts ungewöhnliches. Doch
dann glaubte der Retter an exakt der gleichen Stelle wieder etwas
bemerkt zu haben. Was blieb ihm anderes übrig, als sich dorthin
zu begeben, der Sache auf den Grund zu gehen.
Unter Aufbringung all seiner noch vorhandenen
Kräfte, mental wie körperlich, trat er aus dem Unterholz auf
die kleine Anhöhe gegenüber des nur noch schwach erahnbaren
Weges. Sofort schlug ihm der Sturm wütend zu Boden und schliff
ihn mühelos davon. Erst nach einigen zehn Metern änderte sich
die Windrichtung und der entkräftete Mann wurde nicht mehr
entgegen seinem Willen davongetragen. Nun freilich war der
Aufwand zu der vielleicht nur trügerisch wahrgenommenen
sterbenden Bewegung noch umständlicher. Dennoch blieb dem
Menschen nichts anderes übrig. Er versuchte sich zu erheben,
doch schien er sich bei seiner Schußfahrt am Knöchel verletzt
zu haben. So blieb er in den Knien und kroch, sich gegen den
immer noch heftig Gegenwehr leistenden Wind behauptend, seinem
Ziel entgegen.
Wahrlich hatte er sich nicht getäuscht. Als
er dort ankam, lag unter einem bereits dichtem Schneefell eine
menschliche Gestalt, die kaum noch zu atmen schien und so kurz
vor der Schwelle zum Tod stand. Der Mann aktivierte seine letzten
Kraftreserven und schleppte sich mit dem leblosen Körper in die
Richtung, in welcher er die Hütte vermutete.
Nur mühsam kam er voran. Nur mit Mühe konnte
er sich selbst nach vorn durch den tiefen Neuschnee arbeiten. Und
da hatte er noch die fremde Gestalt auf seinem Rücken. Inständig
hoffte er, daß sie die Strapazen überstehen werde. Doch mit
Hoffnung allein kam er nicht weiter. Sein angeschlagenes Bein
hinter sich her ziehend wankte er durch eine kurze Zeit, in
welcher der Sturm ein Einsehen zu haben schien und ihm etwas
weniger gewaltig zusetzte.
Da trat aus dem ohnehin dunklen Hintergrund
des Waldes der Umriß seines Zieles hervor. Wenigstens sein
Orientierungssinn hatte ihn nicht verlassen, wenn ihn schon seine
körperlichen Kräfte nach und nach dem Laufpaß gaben. Schließlich
konnte er selbst nur noch auf Knien der Behausung entgegen
schleichen, seine Last hinter sich herziehend. Und in der
Vorfreude, im Inneren der Hütte auf eine heiße Tasse Tee zu stoßen.
"Der Wasserkessel!" stieg es ihm zu
Bewußtsein empor, denn ihn hatte er ganz und gar im Kamin
vergessen.
Weil es nun auch nichts mehr nutzte, schleppte
er sich ohne weitere Gedanken an sein Mißgeschick zu verlieren,
immer weiter. Und kam endlich doch, völlig entkräftet an dem
Fenster an, durch welches er ausgestiegen und nun wieder hinein
klettern wollte. Ja, wollte. Denn eine kräftige Bö mußte die
Dachlast aus Schnee herunter geweht haben und nun lag diese vor
dem Fenster. Die Aussicht vollkommen versperrend. Unser Leidgeprüfter
heulte vor Verzweiflung laut auf, was freilich im Tosen des
Blizzards unterging. Aber auch das nutzte nichts. Wollte er
wieder in die Hütte zurück, mußte er einen gangbaren Weg
finden. Und das schnell. Denn sonst bestand die Gefahr, daß
nicht nur seine menschliche Last, sondern auch er selbst ein
Opfer jener Nacht werden würde.
Was war unter diesen Voraussetzungen für ihn
noch möglich? Zwar hätte er jetzt den Schnee vor dem Fenster
wegschaufeln können, doch das wäre bei diesem Wetter fast unmöglich
gewesen. Und was sollte inzwischen mit seinem "Gast"
werden? Da viel ihm ein, daß er am Tage in jenem Holzverschlag
so etwas wie alte Decken oder Jutesäcke gesehen hatte. Also
schleppte er seine Last weiter bis zu dem Stall und kletterte über
eine bereits wieder im Entstehen begriffene Wehe in das Innere.
Tatsächlich lagen dort einige jener Planen, die zum Abdecken gut
geeignet wären. Doch ob sie auch zum Wärmen sich verwenden ließen?
Der verzweifelte Mann zog seinen Anorak aus und legte ihn der
Gestalt, die er mit in den Verhau genommen hatte, zusätzlich über.
Dann wickelte er sie in die Planen ein, um wenigstens der Zugluft
etwas entgegen zu setzen. Selbst halb erfroren wandte er sich
anschließend wieder aus dem Holzschuppen und der eigentlichen
Eingangstür der Hütte zu. Obwohl ein wenig windgeschützter,
war es auch dort nicht minder kalt. Noch dazu, da er sich dieser
Kälte jetzt ohne schützende Jacke ausgeliefert hatte. Zwar war
ihm angesichts der eigenen Anstrengungen weniger kalt zu mute.
Doch konnte diese Streßhitze ihn nicht für alle Zeit wärmen.
Und mögliche Erfrierungen würden nicht gerade leicht zu
bemerken sein.
Glücklicherweise war die Schneeschaufel
leicht auffindbar, da er sie an die Hausecke gelehnt hatte.
Weniger leicht fiel ihm dann aber das eigentliche Schneeschaufeln.
Nicht auf seine Hosen achtend, ließ er sich auf die Knie hinab
und begann gleichmäßig die weiße Barriere zu beseitigen. Auch
wenn immer wieder neuer Schnee herangeweht wurde, hatte er nach
einiger Zeit denn doch den Eingang wenigstens soweit freigelegt,
daß er die Tür öffnen konnte. Schnell war er dann zum
Holzschuppen zurückgewankt, gehumpelt, gekrochen. Dort fand er
unter dem Haufen Planen seinen erfrierenden Leidensgenossen immer
noch in einer tiefen Bewußtlosigkeit vor. Freilich blieb ihm
auch keine Zeit, sich näher um den anderen zu kümmern. Er mußte
nicht nur ihn schnellstens in die Geborgenheit des Haus bringen,
worin er noch immer ein wärmendes Feuer vermutete. Den
kurzzeitigen Gedanken an den Wasserkessel hatte er wieder verdrängt.
Wenn auch mit viel Mühe, doch wenigstens
erfolgreich, konnte er den Bewußtlosen auf eine der Planen
packen und dann mit den anderen Abdeckungen über den Schnee in
Richtung Hütte ziehen. Noch immer wütete der Sturm, als wollte
er verhindern, daß des Mannes Unterfangen mißlingen möge. Doch
so leicht läßt sich ein menschliches Herz nicht entmutigen und
mit letzten Kräften (Welche letzte Kräfte denn eigentlich noch?)
gelang es buchstäblich in letzter Sekunde, bevor unser Freund
ausgelaugt zusammenbrach, die Tür hinter sich zuzuschlagen.
Wie lange mögen beide wohl dort direkt an der
Eingangstür gelegen haben? Wie lange, weiß niemand. Jedenfalls
tagte es bereits wieder, als der angeschlagene Retter seine müden
Augen öffnete. Durch das linke Fenster drang bereits die
Morgensonne ein und tat so, als habe es den gestrigen Abend nicht
gegeben. Als sei sie sich keinerlei Schuld bewußt, die Natur
dieses Landstriches im Kampf gegen den Sturm allein gelassen zu
haben. Unser Freund würdigte sie deshalb auch keines Blickes und
machte sich daran, das fast verloschene Kaminfeuer zu neuem Leben
zu erwecken. Mit ein wenig trockenem Reisig war dies auch nicht
weiter schwierig.
"Den ausgebrannten Wassertopf kann ich
wahrscheinlich erst einmal vergessen", war er sich sicher.
Aber halt, in ihm war noch immer eine
ausreichende Menge Wasser, dem nur noch ein wenig mehr Temperatur
fehlte, um für ein paar wärmende Tassen Tee dienlich sein zu können.
Der "Hausherr" drehte sich seinem Geretteten zu, ob
dieser nicht etwa doch heimlich erwacht war und für das Wasser
gesorgt hatte. Doch unter dem Stoffberg tat sich herzlich wenig,
um dem Verdacht zu entsprechen. Daß diese Stille freilich nicht
andauern durfte, war dem Manne klar. Also ging er hin, und trug
das ganze Paket näher an den Kamin heran. Dort wickelte er die
Gestalt aus den schweren, weil völlig durchnäßten Planen und
legte ihn als weilen auf die schnell ausgebreitete Decke. Noch
immer vollkommen von dessen eigener Bekleidung und dem geborgten
Anorak eingehüllt. Des Retters Fußgelenk schmerzte zwar noch
ein wenig, aber was nutzte es schon? Dann schob er auch noch eine
der leichteren Bauerntruhen vom Fenster weg und an die Feuerung
heran. Denn hier sollte fürs erste die Bettstelle des möglicherweise
Verirrten Platz finden. Denn ihn die Wendeltreppe hinauf zu
bugsieren, schien undurchführbar. Schließlich bereitet es dem
verletzten Mann schon genügend Schwierigkeiten, hinauf zu
humpeln, um das Bettzeug herunter zu holen.
Wieder unten breitete er ein Laken über der
Kiste aus, legte einen der Haferstrohsäcke darüber und deckte
diesen mit einem weiteren Laken zu. Dann bezog er endlich jenes
Bettzeug, welches er am Vortag angefangen hatte. Und legte Kissen
und Decke auf die Truhe. Nun konnte er sich endlich seinem
unfreiwilligen "Besuch" widmen. Er wickelte ihn wieder
aus seiner Decke und zog ihm den für dieses Wetter ungeeigneten
Anorak aus. Das draußen im Dunkel der Sturmnacht nicht recht
definierbare Kleidungsstück erwies sich nun doch als ein recht
warmer Pelzmantel, der allerdings meist nur von Frauen getragen
wurde. Sollte der halberfrorene Gast etwa eine Frau sein? Schnell
wurde der noch immer steife Körper entkleidet und tatsächlich,
vor dem Retter lag eine hübsche junge Frau, deren anmutendes Lächeln
selbst durch die Starre des fast erfrorenen Gesichtes leuchtete.
Der Mann konnte zunächst nichts anderes tun,
als vor Überraschung und Entzücken auf dem Gesicht stehen zu
bleiben. Freilich durfte er dies nicht zu lange, denn ihr Körper
benötigte schnellstmöglich einen gewaltigen Energieschub. Und
auch die klammen Sachen mußten endlich von ihrer Haut herunter.
Erstaunlich schnell, weil sein schmerzendes Fußgelenk vergessend,
war er wieder bei seinem Koffer und holte die Wechselunterwäsche
heraus. Ohne auch nur eine Spur falscher Scham entkleidete er sie
vollkommen, um ihr seine trockene Unterwäsche anzulegen. Dann
zog er noch sein eigenes Hemd aus und zog es ihr an. Und schließlich
nahm er seine Wechselstrümpfe aus dem Koffer und zog sie ihr über.
Nun konnte sie zugedeckt werden und in der Wärme des Bettes
vielleicht zu sich kommen. Für ihn Gelegenheit, daß nun genügend
heiße Wasser für den längst nötigen Teeaufguß zu verwenden.
Und seine ohnehin nur knapp bemessene Keksnahrung für sie
vorzubereiten.
Als er dann endlich mit einem Tablett in den Händen
aus der Küche zurück kam, sah er ihre leuchtend blauen Augen
auf sich gerichtet.
Unwillkürlich mußte er zurück lächeln und
setzte das Tablett auf dem Stuhl neben ihrem "Bett" ab.
Dann hockte er sich neben sie und sagte leise: "Guten Morgen.
Wie geht es Ihnen?"
Sie jedoch lächelte ihn weiter unverändert
an, ohne auch nur mit einem Wimpernschlag zu verstehen zu geben,
daß sie seine Worte verstanden hatte. Oder doch? Ihr nettes Lächeln
ging in ein freudestrahlendes über. Nichts erinnerte an ihr, daß
sie wohl knapp dem Tode entronnen war. Keinerlei Male auf ihrem
Gesicht. Dennoch müßte sie noch ziemlich geschwächt sein und
auch innere Wärme nötig haben, meinte ihr Retter und reichte
ihr eine Tasse mit heißem Tee. Sie schien wenigstens diese Geste
zu verstehen und schüttelte verneinend ihren Kopf. Als er jedoch
stärker darauf drängte, trank sie doch die Tasse genüßlich
leer. Desgleichen mit dem runden Keks, welchen er ihr anbot. Um
ihn zu verspeisen setzte sie sich allerdings auf und ließ ihre
Beine von der Truhe herunter baumeln. Er hüllte sie daraufhin
schnell wieder in die warmen Decken ein, daß auch wirklich nur
ihr engelhaftes Gesicht und ihre zierlichen Händchen hervor
lugten. Alles andere war um sie herum gewickelt.
Langsam zeigte sich dann auch auf ihr eine
Spur von Dankbarkeit. Wenngleich der Gastgeber noch immer nur
eine übergroße Neugier in ihren Augen sah.
Nachdem sie ihre Tasse ausgetrunken und auch
den zweiten Keks gegessen hatte, stellte er alles beiseite und
setzte sich vor sie hin, ihre warmen Hände ergreifend. Diese
waren so zart und ohne Makel, daß er sich nicht vorstellen
konnte, daß sie jemals wirklich eine harte Arbeit hatte ausführen
müssen. Oder auch nur irgend einer Verletzung erlegen war. So
konnte er sich nur mühsam von dem Zauber lösen und sah zu einem
noch bezaubernden Teil ihrer Erscheinung. Es fehlte nur noch der
Heiligenschein und sie hätte unverändert auf jedem Madonnenbild
Platz gefunden. Auch hier war kein Untätchen zu entdecken. Von
ihren blauen Augen ausgehend schweifte der Betrachter langsam zu
ihrem Näschen, das geradezu dazu einzuladen schien, geküßt zu
werden. Auch ihre Lippen, so natürlich und doch wohlgeformt und
pfirsichsanft. Ein leichter Schein ihrer nicht übermäßig weißen
Zähne schimmerte zwischen ihnen hervor. Und die beiden ganz
zarten Grübchen daneben leiteten den Blick weiter zu ihren halb
freigelegten Ohren. Er mußte sich zusammenreißen, nicht sofort
ihre Ohrläppchen anzuknabbern, so lief ihm das Wasser im Mund
zusammen. Nachdem sie scheinbar die Reise seiner Augen
mitbekommen hatte, warf sie die sie einhüllende Decke von ihrem
Kopf und gab ihr goldenes Haar frei. Dieses fiel in sanften
Wellen zu ihren Schultern hinab und verschwand dort in der noch
vorhandenen wärmenden Umhüllung ihres Körpers. So einiges noch
versprechend.
In ihrem Retter, obgleich er sie ja schon
nackt gesehen hatte, erwachte eine männliche Neugier ihr ganzes
Wesen zu erkennen. Denn während er sie aus- und umgezogen hatte,
waren seine Augen nur ihrer Rettung gewidmet. Da war alles
zwischen Mensch und Mensch und nichts zwischen Mann und Frau. Nun
aber keimte etwas, wofür er sich leicht zu schämen begann. Errötend
legte er seinen Kopf zur Seite und bemerkte dennoch ihren
weiterhin fragenden Blick.
So wandte er sich ihr wieder zu und fragte
seinerseits: "Wo kommen Sie denn her? Und was machten Sie
bei diesem Unwetter dort draußen?"
Aber er hätte auch gleich die Schneeschaufel
draußen fragen können. Wenngleich jene nicht so zauberhaft zurück
gelächelt hätte. Aber an eine Antwort war auch diesmal nicht zu
denken. War sie taub, stumm? Verstand sie seine Sprache nicht?
Er wagte sich etwas nähe an sie heran und
strich ihr mit seiner etwas gekrümmten rechten Hand übers Haar.
Das schien ihr zu gefallen, denn sie schmiegte sich sogleich
schnurrend dieser entgegen. Also war sie nicht völlig stumm. Und
als er seine Hand wechselte und ihre rechte Kopfhälfte
herunterstrich, vernahm er selbiges angenehmes Schnurren. Wie ein
Kätzchen unter der warmen Hand ihres Herrchens. Und als er ihr
Gesicht dann mit der gleichen Hand, allerdings jetzt dem Rücken
selbiger liebkoste, durchfuhr sie ein heißer Schauer, der
wiederum in seinem eigenen Körper widerhallte.
Beide sahen sich tief an und er dachte nur
einen Augenblick: "Das darf doch nicht war sein. Was tu ich
hier?" Doch zu mehr Gegenwehr war er nicht fähig. Er sank
langsam zu Boden, sie an seiner Hand mit sich ziehend und auf
einer flaumweichen Decke landend. Wo die so plötzlich
hergekommen war, kümmerte ihn herzlich wenig. Auch daß die Wärme
das Kaminfeuers jetzt den Raum vollständig einnahm und kein Frösteln
mehr zuließ, lag außerhalb seiner Wahrnehmung. Er hatte nur
noch Gefühle für das scheinbar himmlische Wesen an seiner Seite.
Sie streichelten einander ohne einen Laut zu
verlieren, berührten sanft einander mit den Wangen und küßten
sich leidenschaftlich ihrer beider Lippen. Sie fuhren einander
durch das Haar und auf dem Körper entlang. Inzwischen waren alle
trennenden Sachen zwischen ihnen verschwunden und vor den
prasselnden Holzscheiten im Kamin glühten sie beide in einem
einzigartigen Feuer. Seine Hände fuhren auf ihrem Oberkörper
entlang, nicht einen Zentimeter auslassend und ihre zarten Finger
tippelten auf seinem Rücken zwischen den Schulterblättern umher.
Dieses ließ ihn völlig die Gegenwart vergessen und er versank
in einer tiefen Trance. Ihren ganzen Körper nahm er auf, wie sie
ihn. Ohne auch nur einer Spur von Gewalt fiel er immer tiefer,
sich lediglich an ihrer Wärme festhaltend.
Draußen, vor der Hütte, hatten sich
inzwischen die Sonnenstrahlen ihr Terrain zurückerobert und wärmten
in Stille die letzten Schneekrähen, die sich auf den Bäumen
niedergelassen hatten. Auch diese Vögel waren froh, nach den
letzten beiden Stürmen noch auf den Beinen sein zu können.
Viele ihrer Artgenossen schienen es nicht überlebt zu haben,
denn es fehlte auf eigenartige Weise das typische Krähen. Nur
eine Totenstille manifestierte sich um die Hütte.
Da brach ein wilder Schrei der Leidenschaft
diese Welt entzwei. Von panischer Angst getrieben stoben die
schwarzen Vögel auseinander und stürzten sich in das weiße Tal
hinab.
Langsam schob sich die letzte dunkle Wolke vom
Glutball der Sonne hinweg und machte ihr den Weg frei, jeden
Punkt der ihr zugewandten Erde zu erleuchten. Auch auf dem noch
immer tief verschneiten Berggipfel mit seiner Baude fanden sich
die ersten Sonnenstrahlen ein. Wie tags zuvor hüllten sie alles
in ein Glitzern ein, in ein Glitzern Tausender Sterne, die sich
dann aber schnell zu kleinen Rinnsalen verwandelten und der
Mutter Erde zustrebten. Die ersten Frühjahrsvögel krochen aus
ihren Verstecken und vertrieben mit ihrem Gesang die schwarzen
Boten des scheidenden Winters. Jene Krähen, denen es in der
Sonne zu warm schien und sie zu weiten Flügen gen Norden
ansetzten. Letzte verhallende Krächzlauten von sich gebend.
Die warmen Sonnenstrahlen kletterten nun auch
zu den offenen Fenstern der Hütte hinein und schauten sich dort
um. Hier mußte es in der Nacht wirklich heiß gegangen sein, so
lagen Laken und Kleidungsstücke verstreut. Aber das war nichts
neues für die Morgensonne, denn dergleichen sah sie immer mal
wieder auf ihrem Jahrtausende altem Weg um den von Menschen
bewohnten Planeten. Hier war freilich etwas anders. Hier fehlte
etwas. Zwar war der nackte Körper eines gut behaarten jungen
Mannes zu sehen, nicht aber sein weibliches Gegenstück. Oder war
sie bereits aufgestanden und hatte sich in ein anderes Zimmer
begeben, das Frühstück für sich und ihren Liebsten zu bereiten?
Von ihrem Standort konnte die Morgensonne das leider nicht
einsehen, wie sehr sie sich auch darum bemühte und ihre ganze
Kraft auf die Hütte konzentrierte.
Von dieser Lichtflut wachgekitzelt, schlug nun
auch der junge Mann blinzelnd seine Augen auf. Er spürte die
neue Qualität der Wärme, die nicht nur vom Kamin kam. Dort
hatten sich die letzten Holzscheite in eine kaum noch spürbare
warme Asche verwandelt. Also kam die gesamte Wärme von den
Sonnenstrahlen, die durchs Fenster schauten. Etwas verlegen zog
er die nächstgelegene Decke über seinen Körper, als schäme er
sich vor der Frühlingssonne. Und doch fühlte er sich angenehm
warm. Glücklich und zufrieden. In Erinnerung an die vergangene
Nacht und ihre Ekstase war er noch immer ein wenig gefangen. Lächelnd
stand er nun doch auf, nachdem er seine Gespielin neben sich
vermißt hatte. Auch er vermutete, daß sie im Küchenraum
nebenan sei. Er hüllte sich enger in die Decke und ging zur
betreffenden Tür. Doch als er hinein sah, fand er sie dort nicht.
Wohl aber ein zubereitetes Frühstück mit Kaffee, Brötchen und
Erdbeerkonfitüre. Unwillkürlich mußte er lächeln. Und ein
wenig enttäuscht. Eigentlich wollte er sie mit dem Duft frisch
gekochten Kaffees wecken und mit einem zärtlichen Kuß. Nun war
sie ihm zuvor gekommen. Bis auf den Kuß. Aber den wollte er ihr
auf alle Fälle schenken. Freilich mußte er sie hierfür zunächst
einmal finden.
Der glückliche Liebhaber schlenderte so zum
Nebenzimmer, um die Treppen hinaufzusteigen; sie dort umarmend zu
liebkosen. Allerdings war auch dieser Vorsatz zum Scheitern
verurteilt, da es im oberen Schlafgemach nichts zum Umarmen,
nichts zum Liebkosen gab. Inzwischen mißmutig geworden, ging er
zum Fenster und schaute hinaus, ob sie nicht etwa gar einen
kleinen Morgenspaziergang unternommen hatte. Denn ihm fiel gerade
ein, daß er ihre Kleidung nicht gesehen hatte.
Weil er von hier oben aber auch nichts
entdecken konnte, eilte er schnell wieder nach unten und mußte
dort tatsächlich feststellen, daß von seiner nächtlichen,
gestrigen ... (Er hatte eigentlich jedes Zeitgefühl verloren und
konnte sich nur am gegenwärtigen Stand der Sonne orientieren.)
Von seiner Geliebten fehlte jedenfalls jede Spur, egal wie spät
es jetzt war oder welchen Tag man schrieb. Er zog sich rasch an,
um außen nach ihr zu sehen. Morgentoilette und Frühstück ließ
er wieder einmal zunächst außen vor.
Vor der Tür mußte er in diesem Fall nicht
seine Augen zukneifen, da sie bereits an das helles Licht des
Morgens gewöhnt waren. Nicht aber an die Schneeweiße. Sie
blendete noch ein wenig. Jedoch verging auch das bald und er
verschaffte sich einen ersten Überblick über die Welt direkt
vor seiner Unterkunft. Die letzten Schneestürme hatten ganze
Arbeit geleistet und viele zerbrochene Bäume zurück gelassen.
Auch der tags zuvor nicht wieder richtig verschlossene
Vorratschuppen hatte Blessuren davongetragen. Seine Tür hing
windschief in nur einem Scharnier und einige Bretter auf dessen
Dach hingen herunter; gerade noch von einem letzten Nagel
gehalten. Doch das ließ sich reparieren. Größeren Schaden war
auch nicht auf dem hölzernen Abort zu finden, den der Mann kurz
aufsuchte.
Danach setzte er seine Suche nach seinem
engelsgleichen Gast fort. Oder sollte es wirklich ein Engel
gewesen sein, der ihn für die Strapazen der vergangenen Tage
entschädigt hatte? Unser materialistisch eingestellter Freund
wischte dergleichen metaphysisches Gedankengut sogleich beiseite.
Dieses paßte nicht zu ihm. Doch wo, zum Kuckuck, war sie nun
wirklich abgeblieben? Er begab sich zu jener kleinen Anhöhe, an
dessen Fuß er seinen Besuch geborgen hatte und schaute von dort
ins Tal hinab. Nirgends auch nur eine Spur von ihr. Aber auch
keine von einer anderen menschlichen Seele. Keine Ansiedlung weit
und breit, keine noch so geringe Rauchfahne. Nicht die geringste
Spur menschlicher Anwesenheit.
Der Einzelgänger kehrte mit gesenktem Haupt
in seine warme Behausung zurück und aß nun doch erst mal vom
reichlichen Mahl, welches für ihn zubereitet worden war. Und
welches zumindest bewies, daß er den vergangenen Tag und die
diesem folgende Nacht nicht nur geträumt hatte.
Anschließend räumte er die Überbleibsel
jener Wildheit weg und brachte das Innere der Hütte wieder auf
einen normalen Standart. Er wollte ja noch einmal hinaus nach
seiner Schönen suchen und sollte während seiner Abwesenheit
doch noch jemand anderes hier ankommen, vielleicht sogar doch
einer seiner Freunde, sollte es nicht wie Kraut und Rüben
aussehen. Ja, seine Freunde. Seit langem dachte er wieder an sie
und an den eigentlichen Grund seines Hierseins.
"Oder habe ich mich gar verlaufen und bin
in der falschen Hütte gelandet?" fragte er sich zum ersten
Mal, ohne jedoch auf eine Antwort gespannt zu sein. Er hatte
ohnehin jetzt anderes zu tun, als zu sinnieren.
Er packte dann noch seinen Koffer wieder
zusammen und verließ wie er gekommen war die Berghütte. Aber
wohin sollte er sich wenden? Den Weg zurück, den er sicherlich
am ersten Tag genommen hatte? Nur welcher war das genau? So
richtig konnte er sich gar nicht mehr daran erinnern. Er mutmaßte
den vom Eingang rechts wegführenden Pfad durch die geknickten Bäume.
Oder nach hinten weg, an den beiden Holzanbauten vorbei? Oder
doch den kaum wahrnehmbaren Weg nach unten ins Tal? Er stellte
noch einmal seinen Koffer in den Schnee und überlegte.
"An Schuppen und Abort bin ich nicht
vorbeigekommen. Und den steilen Aufstieg aus dem Tal habe ich
auch nicht hinter mich gebracht. Bleibt also nur noch der Weg
nach rechts. Und wohin ist sie gegangen? Daß sie auch keine
Spuren hinterlassen hat. Sie muß doch auch durch den Schnee
gegangen sein. Zurück? Weiter?"
Schließlich siegte in ihm doch der Wille,
sein Glück auf dem Weg zu suchen, den er hoffte gekommen zu sein.
er nahm seinen Koffer wieder auf und stapfte zwischen all den
zerzausten Kiefern davon. Immer wieder mußte er dabei über
umgestürzte Bäume steigen und immer tiefer ging es in die Düsternis
des Waldes hinein, auch wenn sich der bis dato unberührte Schnee
als Lichtreflektor bewährte.
An einer Stelle jedoch schien ein normales
Weiterkommen unmöglich. Nach einer Wegebiegung stand er plötzlich
vor einer wild durcheinander gewürfelten Masse geborstener Bäume.
Hier herüber zu klettern schien ihm gefährlicher, als um den
Wall zu wandern. Dazu mußte er freilich vom Wege ab und etwas
tiefer in den Wald hinein, dessen dichter stehendes Gehölz dem
Winde kein so schreckliches Tribut zu zahlen hatte. Und selbst
das Sonnenlicht mußte hier schweigend seine Niederlage
eingestehen. abgesehen von ein paar wenigen Botschaftern, die
vereinzelt durch die wenigen Lücken im Geäst zum Boden
durchdrangen. Zu einem Boden, der zwar weniger mit Schnee, aber
dennoch mit frostigem Ästen und Zweigen bedeckt war. So war es für
unseren Wanderer auch hier nicht der leichteste Spaziergang. Denn,
wie leicht hätte er auf dieser Stolperstrecke ausgleiten können
und sich wer weiß sonst was antun können.
Und genau das geschah ihm dann auch wirklich.
Gerade, als er auf einem der etwas stärkeren Baumreste stand und
den nächsten Schritt wagen wollte, blieb er mit seinem Koffer an
einem hervorstehenden Ast hängen und als er stärkere daran zog,
rutschte er aus und überschlug sich von der Baumleiche fallend.
Ein schwerer Schlag an seinen Hinterkopf vertiefte die ohnehin
nicht unmäßig helle Umgebung zu einer rabenschwarzen Nacht. Und
so bekam der Mann das Ende seiner Schußfahrt gar nicht mehr mit.
Das monotone Klicken schien aus einer anderen
Welt zu kommen, oder wenigstens von ganz weit her. Von einem noch
im Dunkel liegenden Raum. Dieser kam allerdings nun doch näher.
Oder wurden nur die Klickgeräusche lauter. Unter hinter diesen Tönen
das gleichfalls monotone Brummen eines Automaten.
Noch war alles schwarz um ihn herum; wieder
einmal. Aber daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Nicht aber
an das gleichförmige Klicken. Oder war es das Ticken einer Uhr?
Seiner Uhr? Und das Brummen war wieder einmal nur das Rauschen
der eigenen Blutes. Mühsam versuchte er seine Augen zu öffnen.
Doch war er zwar mit seinem Geist erwacht, oder, nicht aber mit
seinem Körper, mit seinen Muskeln. Noch wußten nichts von
seinem Wunsch, nichts von ihrer anstehenden Aufgabe, die Lider zu
heben. Noch ging kein Befehl durch die Nervenbahnen von der Großhirnrinde
zu den Muskelfasern. Aber etwas anderes funktionierte doch
bereits. Nein, nicht sein übriger Körper. Der war ebenfalls
noch losgelöst vom eigenen Bewußtsein. Die Augen, zwar noch
fest geschlossen, doch bereits fähig, etwas Licht zu empfangen.
Ein etwas zu grelles Licht, welches dann doch eine erste Reaktion
im Kopf des Mannes herbeiführte.
Dieser Mann bekam jedoch nicht die Gelegenheit,
sich auf diese neue Qualität einzustellen oder gar zu
hinterfragen, woher dieses Licht kam. Ein Druck von außen riß
ihm das linke Lid hoch und ein Blitz, heller als tausend Sonnen,
schoß in sein Refugium und zerstörte die Abgeschlossenheit, in
welcher er sich befand, in welche er sich zurückgezogen hatte.
Oder vielmehr sein Bewußtsein.
"Er kommt zu sich", meldeten ihm
seine Ohren durch den nun auf ihn einströmenden Geräuschpegel.
Das zwangsgeöffnete Lid schoß nach seiner
Befreiung wieder in den geschlossenen Zustand zurück, doch ließ
es sich dann ohne weiteres vom bezeichneten "Er" wieder
öffnen. Zwar zaghaft noch, doch im Verband mit seinem Zwilling,
dem rechten Lid, stetig und selbstbewußt. Sobald beide
vollkommen geöffnet waren und dann ihre normale Funktion
aufnahmen, konnte der Besitzer jenes Augenpaares sich endlich
einen ersten Überblick über seine Umgebung verschaffen. Zunächst
sahen ihn vier andere Augenpaare an; drei weibliche und ein männliches.
Zumindest deuteten die Gesichter, zu denen diese optischen
Sensoren gehörten, jene Geschlechtsspezifik an.
Der Mann schaute etwas an den vier ihm
unbekannten Leuten herunter und erkannte in ihnen irgendwelches
medizinisches Personal. - Nein! Neben dem einen männlichen
Mediziner und zwei jungen Frauen, möglicherweise
Krankenschwestern, stand eine zwar ebenfalls weiß, aber nicht in
Krankenhaustracht gekleidete Dame.
Diese sprach ihn dann auch als erste direkt an:
"Na, bist du wieder da?"
Er versuchte noch den Sinn dieser Worte zu
ergründen, als die Stimme einer weiteren Person von außerhalb
des Gesichtsfeldes des auf einem Bett liegenden Patienten ertönte:
"Du hast uns einen gehörigen Schrecken eingejagt."
Auch hierfür fand er nicht sogleich der Worte
Sinn. Oder vielmehr die Bedeutung deren für die Anwesenden im
Zimmer. So drehte er sich der Quelle jener männlichen Stimme zu
und erblickte einen ebenfalls jungen Mann, der ihm freundlich zulächelte,
den er aber auch noch nie gesehen hatte. Zumindest war es sich
dessen nicht bewußt.
"Herr T, wie fühlen Sie sich?"
fragte nun der Arzt seinen allmählich ins Leben zurückkehrenden
Patienten, woraufhin dieser bereits wieder spaßen konnte und
meinte, daß es ihm schon mal besser gegangen sei.
Ein allseitiges Schmunzeln bewies, daß sein
Scherz angenommen wurde und da sicherlich keinerlei
gesundheitliche Bedenken mehr vorlagen, ließ das medizinische
Personal das dem Manne noch immer unbekannte Pärchen mit diesem
allein.
"Aber ich will uns erst einmal vorstellen",
begann die nun nähertretende männliche Person die Konversation.
"Das ist F-P und ich bin F."
Dem Liegenden ging endlich ein Licht auf und
er meinte, daß er sich wohl nicht erst groß vorzustellen
brauche, nannte aber dennoch seinen Namen. Um dann gleich
anschließend sich danach zu erkundigen, was eigentlich geschehen
sei. Und wo man sich befände.
Auch hier gab der noch immer linkerhand
stehende F bereitwillig Auskunft, während F-P rechterhand auf
einem Stuhl neben dem Bett saß und wann immer des Patienten
Blick sie streifte ihm zu lächelte: "Wir sind im
Krankenhaus von Bad S. Man hat dich im Wald gefunden. Unter einem
abgebrochenem Ast begraben."
"Was hast du dort nur gewollt?"
fragte nun auch sie mit einem niedlichen Ton in ihrer Stimme.
"Du mußt dich verlaufen haben."
"Verlaufen?" versuchte sich der
Patient zu erinnern und langsam kam ihm sein Rückweg durch den
Wald und auch sein gesamtes Wochenendabenteuer wieder in
Erinnerung zurück. "Eigentlich wollte ich nur um die umgestürzten
Bäume herum?"
Die beiden Besucher sahen sich fragend an und
sie übernahm die Rolle der Fragenden: "Welche umgestürzten
Bäume?"
"Na, die im Wald. Der ganze Weg war doch
versperrt. Ich kam schon so kaum durch den tiefen Schnee."
Wieder schien es, als glaubten die beiden
anderen, der Patient habe mehr abbekommen, als von außen
sichtbar: "Welcher tiefer Schnee? Gut, es hat gestern ein
wenig geschneit und der Zug ist wieder einmal zuspät gekommen.
Aber tiefer Schnee? Wo warst denn du noch?"
Die junge Frau, die dies aussprach, kannte
sich hier gut aus, war von hier, und konnte sich deshalb nicht
erklären, wovon ihr neuer Bekannter sprach.
Nun war es an jenem Bekannten, ungläubig aus
seiner Krankenhauswäsche zu schauen: "Na, ich habe das
ganze Wochenende auf euch und die anderen vom Club gewartet."
"Wo?" fragte F-P ganz verwirrt nach.
"Und wann?"
"In der Berghütte, wo wir uns treffen
wollten. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich alles
durchgemacht habe. Oder war ich ein acht Tage zu früh dran?"
Diesmal wollte F dies genauer wissen: "Wann
bist du denn angekommen?"
"Am Freitag. Wieso?"
F lächelte unbewußt: "Dann hast du dein
Wochenende noch vor dir. Jetzt ist erst Samstag morgen."
T sprang fast aus dem Bett vor Aufregung:
"Das kann nicht sein. Ich habe ein volles Wochenende in
dieser verfluchten Waldhütte zugebracht."
"Waldhütte?" fragte F-P nach.
"Waldhütte - Berghütte? Was spielt das
für eine Rolle?"
Die junge Frau tat jetzt ganz ernst: "Wir
hatten uns für heute in der Berghütte verabredet. In der
Gipfelpension BERGHÜTTE. Und eine Wald-... Ach, jetzt verstehe
ich erst. Du wolltest zu der Baude, zu der Hütte, wohin der alte
Wegweise zeigt. Ist allerdings ein Fußweg von drei Stunden. Aber
die steht auch gar nicht mehr, soviel ich weiß."
"Aber ich war doch dort", bestand T
auf seine Erinnerung. "Das ganze Wochenende. Und da war
sogar ... Was war mit den Schneestürmen?"
Auch in diesem Fall konnten sich die beiden
anderen nur fragend anschauen. "Gestern gab es mal einen
etwas heftigeren Wind. Eigentlich nichts unnormales dort oben.
Und der wird dann auch den Ast abgerissen haben, der dich traf.
Aber Schneestürme? Das mußt du geträumt haben."
"Geträumt?" konnte sich der im Wald
aufgefundene das nicht so recht vorstellen und berichtete seinen
beiden neuen Freunden von seinen Erlebnissen.
Kaum hatte er den immer mehr verwirrt
dreinschauenden beiden seine Abenteuer berichtet, als der
behandelnde Arzt ins Zimmer eintrat. Er diagnostizierte bei
seinem Patienten zwar eine leichte Gehirnerschütterung, die
zweifelsohne auch einen gewissen Orientierungsverlust hervorrufen
konnte, dem Verunglückten jedoch keinen dauerhaften Schaden
bescherte. Wer er sich soweit fühle, könne er durchaus
innerhalb der nächsten Stunde das Krankenhaus wieder verlassen.
Der Besuch müsse freilich jetzt sich schon verabschieden, da
noch einiges zu erledigen sei.
Zwei Stunden später saßen alle drei am
Samstagvormittag im Auto von F und fuhren die wahrlich nur von spärlichen
Schneeresten begleitete Straße zur Ausflugspension "Berghütte"
hinauf. Unterwegs immer wieder auf die Erlebnisse in jenem
mysteriösen Traum zurückkommend. Und alle drei waren auf die
Reaktion gespannt, wenn dies im Kreise des Treffens eröffnet
werden würde.
Oben an der Pension angekommen stiegen sie nacheinander aus und F öffnete die Kofferklappe seines Wagens, um Koffer und Taschen herauszunehmen. Nachdem T seinen Koffer erhalten hatte, schaute er sich zum zweiten Mal das Bergplateau an und wurde dabei auf einen anderen Wagen aufmerksam, in welchem er gerade noch von hinten den blonden Kopf einer jungen Frau erkennen konnte.
"Aber da ...!?" rief er erstaunt aus und zeigte mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf das kleiner werdende Auto, aber seine beiden neuen Freunde hakten ihn unter und entführten ihn in das Innere des aus Backsteinen errichteten Berghotels.
Ende