Märchen

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Das tapfere Schneiderlein

Wohl jedermann kann glücklich wenden,

der es versteht mit seinen Händen

und seinem Hirn, des Schicksals Lauf.

Nicht steil bergab, doch steil hinauf

 

muß es nicht immer weiter gehen.

Es wichtig ist, man bleibt nicht stehen.

Ob man das Eisen heftig schlägt,

das Boot stromab, stroman bewegt,

 

im Erdreich Tag für Tag sich müht,

den Faden durch die Nadel zieht –

all das ist nicht so sehr der Sinn.

Die Tat sei selber der Gewinn.

 

Das dachte sich einst auch ein Schneider

und nähte für die Welt die Kleider,

zu schmücken sowohl Herrn als Damen,

die freudig zu dem Meister kamen.

 

Allein des Lohnes Glanz blieb fahl

und der Designer gleichsam schmal.

Es reichte oft nicht für ein Brot.

Nur grad ‘ne Schnitte in der Not

 

und einen Kreuzer, der aus Kupfer

verhalf dem Laib zu einem Tupfer

vom schönen blauen Pflaumenmus.

Der Händlerin ‘nen lieben Gruß!

 

Da saß er nun, im Schneidersitze.

Hat schief gesetzt die grüne Mütze

und näht und flickt und schneidert sehr,

als ob daran nichts schwierig wär.

 

Er pfeift sogar ein frohes Lied,

indes der Musduft Kreise zieht,

bis er erreicht die Fliegenschaft.

Die stürzen drauf mit voller Kraft.

 

„Ich werde es euch schon verleiden,

euch auf dem Muse auszubreiten!“

ruft da der Rock- und Hosenmacher.

„Schlag ich jetzt zu, gibt’s keinen Lacher!“

 

Und wirklich, kaum daß mit der Klatsche

er zuschlägt, sind sie in der Patsche.

Er zählt die Fliegen ihrer sieben

und hat dies gleich mit Garn geschrieben

 

auf einen Gürtel, den er schnallt

sich um den Bauch, das es recht knallt.

„Was soll ich hier? Werd niemals reich,

obgleich ‚sieben auf einen Streich‘.“

 

Er nimmt sich seinen Käse mit.

Auch jenen Vogel, der nicht litt

bei unsrem gecken Schneiderlein,

steckt dieser in den Rocksaum rein.

 

So läßt er hinter sich die Stadt,

die er sprichwörtlich satt jetzt hat

und wendet sich dem Lande zu.

Das Abenteuer kommt im nu

 

in Form von ein paar großen Schritten,

wodurch ringsum die Bauern litten.

„Seht hier, mein Herr“, spricht man ihn an.

„Das hat zerstört der Riesenmann.

 

Er bringt die Wirtschaft aus dem Lot

und alle Leute leiden Not.

Schon wollten wir zu unsrem König,

doch fürchten wir, das nützt uns wenig.“

 

„Verwüstet hat das Land ein Riese?

Sah selbst Ruinen nicht wie diese

auf meiner langen Wanderschaft.

Obgleich mir scheint, er hat nur Kraft

 

in seinen Beinen oder Armen.

Da kennt er keineswegs Erbarmen.

Wenn es jedoch ums Denken geht,

dann scheint mir, kommt er reichlich spät.

 

So will ich, wenn ich ihn mal sehe,

ihn flugs aus eures Dorfes Nähe

und auch von eurem Land vertreiben. –

Nicht ohne Grund tat man dies schreiben!“

 

Der Schneider zieht den Gürtel vor.

Die Leute staunen eins im Chor,

was er doch für ein großer Held,

daß sieben er zugleich gefällt.

 

Er nimmt sein Bündel, seinen Stab,

den ihm ein hübsches Mädchen gab,

wendet sich pfeifend zu den Bergen

und hofft, daß sie bewohnt von Zwergen.

  

Mitnichten allerdings ein Zwerg

erscheint ihm dort. Grad wie ein Berg

so groß steht die Gestalt vor ihm.

„Wo willst du Rieslein denn hinziehn?“

 

ergreift des Fadens Meister schnell

das Wort als erster. „Du, Gesell,

willst du mit mir ein wenig wandern?

Wenn nicht, such ich mir einen andern.“

 

„Ha!“ lacht der Riese schrecklich laut,

derweil er auf den Bauch sich haut.

„Du Fliegendreck als meinesgleichen?

Tust mir nicht mal zum Knie raufreichen.“

 

„Die Größe macht es nicht, mein Knabe.

Kein Spruch allein, selbst dein Gehabe

läßt niemand hier vor Demut zittern

wie Knappen einst vor ihren Rittern.“

 

Dem Riesen ist das nicht geheuer.

Er holt sein Eisen aus dem Feuer

und schlägt dem winzig kleinen Mann

als Wette vor: „Was jeder kann,

 

daß soll sich nun im Kampf erweisen.

Verlierst du, hab ich kaum zu beißen.“

„Halt ein, mein Freund, nicht mit der Keule.

Für mich ist die groß wie ‘ne Säule.

 

Laß uns die Kräfte anders messen.

Wenn du verlierst, werd ich dich essen!“

„Wenn ich verlier … - Hier siehst du diesen

Stein? – Damit kann ich Blumen gießen.“

 

Er nahm ihn hoch und drückte sehr.

Ein Tropfen lief, dann kam nichts mehr.

„Ach, Bursche, wenn das alles is,

vertrocknen Blumen ganz gewiß.“

 

lacht Schneiderlein und tauscht beim Bücken

den Stein mit Käse voll Entzücken.

„Und nun schau her, wie ich es mache!“

Des Käses Saft wird bald zur Lache.

 

‚Oh, ei der Daus‘, denkt sich der Hüne,

‚was ist denn das für eine Bühne,

auf die ich hier geraten bin?‘

„Revanche steht mir nun im Sinn.

 

Wirfst du nur halbhoch deinen Stein,

soll siegreich heut dein Wirken sein.“

Er schmettert mit gewalt’gem Stoß

den Felsen hoch. In Erden Schoß

 

stürzt bald darauf der Brocken nieder.

Die Wucht fährt in des Schneiders Glieder.

„Nicht schlecht. Das muß ich dir schon sagen.

Doch bin ich besser. Fang an zu klagen!“

 

Auch diesmal bückt sich der Designer

und nimmt ‘nen Stein, wenn der auch kleiner

als jener, den der Riese warf.

„Ich zeig es dir, wenn ich es darf“,

 

lautet des Werfers nächster Satz

und läßt frei fliegen seinen Spatz.

Der kommt natürlich nicht zurück

und Unhold ist zu dumm zum Glück.

 

„Potz Blitz, da soll mich doch der alte

Teufel holen und wohl das balde,

wenn je ich einen traf wie dich.

Ich glaub, du bist doch was für mich.

 

Komm laß uns diesen Baum hier tragen

in meine Höhle. Schon seit Tagen

ist es nicht recht behaglich dort,

seit dem des Feuers Nahrung fort.“

 

Der Schneider willigt freudig ein

und faßt den Baum an wie zum Schein:

„Geh du voran, du kennst den Weg!

Ich hinten, wo ‘s Holz kreuz und schräg,

 

wo vielerlei von Ast und Zweigen.“

Der Riese muß als Träger leiden.

Muß hören gar, daß pfeift der Mann.

Ein wahrlich seltsames Gespann.

 

Als sie dann zu der Höhle kommen,

ist schnell das Schneiderlein entklommen

dem ihn leicht tragenden Geäst

und hält grad noch ein Zweiglein fest.

 

„Was bist ach du so stark gewesen!“

staunt da der Hüne. „Kannst du lesen?“

entgegnet unser Held sogleich.

„Es sieben warn, auf einen Streich.“

 

Der Unhold glaubte wohl an Riesen,

die tot nun liegen auf den Wiesen

und denkt für sich: ‚Solang er wacht,

komm ich ihm nicht. Doch bald ist Nacht.

 

Im Schlafe werde ich ihn brechen

und damit meine Brüder rächen.‘

Laut sagt er ein ganz andres Wort:

„Ich lad dich ein, zum Schlafe dort.“

  

Der Mann des Rockes und der Hose

stimmt zu und liegt bald still im Moose

in einer gar nicht hellen Ecke.

Ganz zugedeckt von einer Decke.

 

Der Hausherr schläft, die Zeit verrinnt.

Der Schneider seine Nadel nimmt

und näht sich einen Doppelgänger,

wird dieser auch niemals ein Sänger.

 

Dann schleicht er aus der Felsenhalle,

damit er nicht geht in die Falle,

die ihm der Riese hat gegraben.

„So leicht sollst du mich niemals haben.“

 

Nicht falsch gewählt war der Moment,

denn just darauf schlägt wie enthemmt

der Riese, der nun auch erwacht,

auf Schneiders ‚Bruder‘ gar nicht sacht

 

mit einem großen Knüppel ein.

Für einen Gastwirt gar nicht fein.

Dann legt der Mörder froh sich hin;

glaubt seine Untat als Gewinn.

 

Am nächsten vogelvollen Morgen

tritt unser Schneider ohne Sorgen

vor jenes große Trollgesicht:

„Noch einmal schlafe ich hier nicht.

 

Hier scheint es ja von vielen Mücken

zu wimmeln, die mich stechen, drücken.

Doch mach dir, Freundchen, nichts daraus.

Ich suche mir ein andres Haus.“

 

Dem Riesen wurde angst und bange.

‚Wenn dem selbst eine Eisenstange

nicht das geringste antun kann,

ist wahrlich er der stärkste Mann.‘

 

Und suchte somit schnell das Weite,

was seinerseits den Schneider freute,

denn immer nur auf Tricks zu stehen,

kann auch einmal daneben gehen.

 

Es wandert weiter der Geselle,

kommt bald an die bebaute Stelle,

die man als Stadt des Königs kennt

und die sich nach dem Herrscher nennt.

 

Dort sah man an dem großen Teich,

den Gürtel mit dem Spruch vom Streich

und schneller als die Spatzen pfeifen,

kann jedermann die Nachricht greifen.

 

Die Wache hört ’s und auch der König.

„Was will er hier? Er scheint nicht wenig

an Mut und Kraft sein eigen nennen. –

Wird er wohl auch für mich nun rennen?“

 

Man fragt den unbekannten Herrn,

ob er vielleicht nicht würde gern

in königlichen Dienst eintreten.

Für ihn gäb ‘s reichlich viel Moneten.

 

„Dem bin ich nichtens abgewandt.

Ich lebe gern von meiner Hand,

wie man von weitem sicher sieht.“

Das Volk hofft auf ein neues Lied.

 

Die Welt besitzt jedoch auch Neider.

Selbst wenn sie tragen gute Kleider,

sieht es in ihnen ungut aus

und Mißgunst dringt in jedes Haus.

 

Gewiß fehlt ihnen oft der Mut,

zu sagen, was der Held geruht

nach ihrer Meinung falsch zu machen.

Wär’s nicht so ernst, man könnte lachen.

 

Hier waren es die Offiziere,

mißgünstig wie oftmals die Stiere

dem Gegner machen den Garaus,

die ihm mißgönnen seinen Schmaus.

 

Sie gehen an den Königshof

und stellen sich dort an wie doof:

„Zwei Riesen wüten noch im Lande

und wir sind leider nicht imstande

 

sie ein für alle Mal zu schlagen.

Soll doch der Neue sie verjagen.“

Der König läßt sich gern beraten:

„Wenn er ein solcher Satansbraten,

 

dann gilt mein königliches Wort:

Der Fremde muß sie jagen fort.

Dann winkt als Lohn ihm, wie es Brauch,

das halbe Reich – Prinzessin auch!“

 

Sie hofften, ohne zu erröten,

die Riesen täten ihn gleich töten.

Doch jener mit dem Gürtelband

versucht es wieder mit Verstand.

 

Nachdem die Trolle sind gefunden,

wartet er vorsorglich drei Stunden,

bis daß die Ziele seiner Jagd

sich schlafen legen bis es tagt.

 

Dann steigt er auf den Baum daneben.

Versteckt sich gut, damit sein Leben

von einer durchaus langen Dauer.

Beginnt dann mit dem Steinwurfschauer.

 

Zunächst der linke kommt auf ’s Korn,

dadurch erwacht der voller Zorn.

Denn er glaubt, daß sein Nebenmann,

ihn schlug, so er nicht schlafen kann.

 

Noch kann der ihn einmal beschwichten.

„Doch laß in Zukunft die Geschichten.

Ich will im Schatten ruhig schlafen.“

Bald träumen sie von fetten Schafen.

 

Jetzt wirft der Schneider mit Bedacht

den andren voll, daß der aufwacht.

„He! Was soll das? Ich rate dir!

Nimm deine Hände weg von mir!“

 

zürnt Nummer zwei dem ersten Riesen.

Dem wiederum ist nicht zum Nießen.

Er schlägt zurück und mit Genuß

verfolgt der Schneider den Verdruß.

 

So geht es eine Weile fort.

Das Schäferstündchen wird zum Mord,

so das alsbald tot die Unholde,

genau wie’s Schneiderlein es wollte.

 

Der stieg dann ab von seinem Baum,

hielt seinen Säbel nicht in Zaum,

versetzt den Toten manchen Streich

und geht zum König hiernach gleich.

 

Der läßt den Fall rekonstruieren

und dennoch tut er sich noch zieren,

dem Helden seinen Lohn zu geben.

„Ein Einhorn bedroht unser Leben.

 

Gelingt es dir, dies einzufangen,

wirst du zu großer Huld gelangen.“

Dem Schneider scheint der Mut zu liegen,

als seien alle Gegner Fliegen.

 

Er wandert ohne lang zu fragen

gleich los, dem Einhorn an den Kragen

zu gehen, um des Königs Land

zu teilen, als sei es aus Sand.

 

Im Wald, wo schaurig Käuzchen rufen,

sieht unser Held von Einhornhufen

in den Lehm gedrückte Spuren,

nicht jedoch wo Wagen fuhren.

 

Da hört er einen wüsten Schrei

und schon eilt das Getier herbei

ihn mit dem Horn schön aufzuspießen.

Das freilich will er nicht genießen.

 

So springt er kurz vor letztem Stoß

zur Seite und das Horn famos

dringt durch den festen Buchenstamm.

Das Tier gefangen wie ein Lamm.

 

Schnell wird das Einhorn noch gebunden

mit einem Strick, den er gefunden

in seiner dienstlichen Montur.

Dann geht zum Schlosse er retour.

 

‚Was soll ich mit dem Helden machen?‘

denkt König sich. ‚Bald aus die Sachen,

die ihn aus meinem Lande treiben.‘

„Man wird dir Dankesbriefe schreiben,

 

wenn du jetzt noch den wilden Keiler

vertreibst, wo standen einst die Meiler

von meinen lieben Untertanen.

Dein Name dann auf Landesfahnen.“

 

„Wenn, König, hältst du endlich Wort,

dann geh ich an den dunklen Ort

und zwinge auch das wilde Schwein,

damit das Volk kann glücklich sein.

 

Doch solltest Ihr Euch nicht dran halten,

mach ich Gebrauch von den Gewalten,

die mir bescherten jene sieben.

Ihr könnt Euch dann in Demut üben.“

 

Erneut begibt sich unser Held,

zur Stelle, wo man Helden zählt

vergebens in dem kleinen Reiche

und schaut den Keiler bei ‘ner Eiche.

 

Auch jenes Tier hat ihn gesehen

und bleibt nicht bei dem Baume stehen.

Es stürzt gleich los mit lautem Schnaufen.

„Komm ich vom Regen in die Traufen?“

 

fragt sich der junge Schneidermann,

da er ja auch vorm Einhorn rann.

Hier hat er jedoch keine Falle

und langsam werden Kräfte alle

 

ihm, als immerzu es vorwärts geht.

Da just er die Kapelle späht.

In diese springt er schnell hinein,

gefolgt vom großen, wilden Schwein.

  

„Nun aus dem Fenster ganz geschwind,

mach ich, daß ich die Türe find.

Die ward alsbald geschlossen fest,

damit das Tier sich fangen läßt.“

 

Tatsächlich und nicht übertrieben,

hat er sich in das Buch geschrieben,

worin die Taten alle sind,

die gerne liest ein jedes Kind.

 

Zum König kommt alsbald der Recke.

„Spiel jetzt bloß nicht mit mir Verstecke!“

„Nein, lieber Herr, ganz im Vertrauen,

ich wollte wirklich nur mal schauen,

 

ob Ihr fürwahr der rechte seid. –

Das Land, die Tochter steht bereit!“

Alsbald wird Hochzeit abgehalten,

doch sonst scheint alles bei dem alten.

 

Und selbst die junge Königin,

hat nichts als Ungemach im Sinn.

Als er einmal als Schneider träumte,

hofft sie, daß man ihn ihr wegräumte.

 

Sie geht damit zu ihrem Vater,

er soll beenden das Theater.

„Laß auf die Tür bei seinem Schlafe,

dann hört ’s die Wache, ihm sei Strafe.“

 

Doch hat der Schneider den Verdacht

und als die Tür bleibt auf bei Nacht,

läßt er wie sonst im Schlaf verlauten,

grad als die Wächter nach ihm schauten:

 

„Dereinst hab sieben ich erschlagen

mit einem Streich. Leblos getragen

hat man die beiden Riesen weg.

Erfüllten meiner Taten Zweck.

 

Ein Einhorn hab ich eingefangen.

Der wilde Keiler ist gegangen

in die gestellte Falle mir.

So wie die Lauscher an der Tür!“

 

Als das vernahmen jene draußen,

erfaßt sie das gewisse Grausen,

daß da der junge König drin,

besitzt den wirklich starken Sinn

 

der nur den Helden ist zu Eigen.

Er braucht die Herkunft nicht zu zeigen.

Die bösen Neider ziehen fort,

auch Königin hält sich ans Wort,

 

daß sie als seine Frau ihm gab,

ihm treu zu sein, bis in das Grab.

So kam es das ein kleiner Schneider

ein Königreich regierte weiter.

 

[2009]