Märchen

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Rumpelstilzchen

Es kommt schon immer wieder vor,

ob klug du bist, ob du ein Tor,

daß manches Wort zur falschen Zeit

dich in das Unbehagen treibt.

 

So hatte einst ein Müllersmann

geprahlt, was seine Tochter kann.

Sie könne aus Stroh spinnen Gold

und sei auch sonst nicht wenig hold.

 

Die Narrheit tat als wahr man kaufen;

schon bald muß er zum König laufen,

um dort zu wiederholen seine Worte,

wie jüngst am durchaus andren Orte.

 

Er traute sich nicht dies zu streiten,

wollt sein der klüg’re von den beiden.

Doch an des Königs Führungsmacht

hat er wohl leider nicht gedacht.

 

„Nun denn, das sollt mir wohl gefallen.

Man schaff sogleich heran zehn Ballen

von unsrem allerbesten Stroh.

Und seine Tochter sowieso.“

 

Was Seine Majestät erdachte,

man schleunigst auf den Schloßturm brachte.

Da half kein Jammern und keine Flehn.

Die Treppe muß die Maid hochgeh’n.

 

Dort steht der König schon bereit,

zu hoffen, daß im Sommer schneit,

Milch und Honig in Massen fließen,

statt klarem Wasser auf den Wiesen.

 

Er spricht das Mädchen fordernd an:

„Hier stehe ich als Erster Mann!

Zeit hast du bis zum Morgenrot.

Ist Stroh nicht Gold, dann bist du tot!“

 

Man sperrt sie in den kleinen Schlag,

für ihren allerletzten Tag.

Da liegt sie, Augen tränenvoll.

Weiß nicht, wie Rettung kommen soll.

 

Fast ist vorbei die letzte Nacht,

als auf die Tür. Es leise kracht.

Ein Männlein steht im fahlen Licht.

So ‘ne Gestalt sahst du noch nicht.

 

„Was weinst du Müllerstochter fein

gar Tränen viel in ‘s Stroh hinein?“

„Wie sollte ich dies unterlassen,

wenn nun schon bald die Henker fassen

 

mich und mein junges Leben muß

ich geben für so einen Stuß.

Aus diesem Stroh hier Gold zu spinnen?

Wer das ersann, ist nicht von hinnen.“

 

„Wieso, du kleine Margaret?

Das Stroh hat beste Qualität

Doch was gibst du mir dann zum Lohn,

wenn Gold ich spinn bis auf die Sonn?“

 

„Ich habe dieses Halsband hier.

Das gäb ich gerne dir dafür.“

„So sei es und nun geh zur Seite,

daß ich aus Stroh das Gold bereite.“

 

Er setzt sich an das Spinnrad dann,

hält Stroh hinein und schon fängst an

den Raum mit Gold zu überfluten.

Und das in wenigen Minuten.

 

Kaum gesponnen letzter Haufen,

hört man draußen König schnaufen.

Bevor jedoch die Tür aufgeht,

ist’s Männchen fort, vom Wind verweht.

 

Der Wächter schließt nun auf die Pforte,

dem König fehlen fast die Worte,

als er den Raum so voll von Gold

erblickt, doch sagt er gar nicht hold:

 

„Das hast du wahrlich fein gemacht.

Dies alles in nur einer Nacht?

Es war dir scheinbar nicht zu schwer.

So bringt ihr neues Stroh, doch mehr!“

 

Schnell war ein größrer Raum gefunden.

Den sollt vergolden sie in Stunden

die bis zum nächsten Morgen blieben.

Dem König schien ‘s nicht übertrieben.

 

Erneut saß nun das Mädchen da

und wußte nicht wie ihm geschah.

Denn kurz vor erster Morgenstunde

erschien das Männchen in der Runde.

 

„Womit, wenn ich dir dies bewerke,

willst lohnen du mir meine Stärke?“

„Nimm diesen Ring. Mein letzter Schatz.

Wär ohne dich eh für die Katz.“

 

Auch damit war der Gnom zufrieden

und ehe noch die Sonn hienieden

ihre Strahlen golden handelt,

war alles Stroh in Gold verwandelt.

 

Es lief nun ab, wie tags zuvor.

Kaum nähert sich des Hofes Chor,

ist schon der Kobold auch verschwunden.

Der Herrscher staunt, ganz unumwunden.

 

„Ich sehe, es war dir zu leicht.

Geb nicht ehr Ruh, bis das es reicht,

mit Gold gefüllt die Große Halle.

Schaffst du es nicht – das Beil, es falle!“

 

Was dienen soll als Königs Zier,

wächst nun heran zu purer Gier.

Wie soll das Märchen nun nur enden?

Vielleicht erst in des Midas Händen?

 

Die Tore sind fest zugeschlossen.

Das Mädchen hofft nun unverdrossen,

daß heute auch, zu später Zeit,

das Männchen kommt, ganz hilfsbereit.

 

Und wirklich trügt sie nicht, ihr Hoffen.

Der Geist erscheint, auch wenn nichts offen.

Und es erhebt sich neu die Frage,

was er wohl heute heimwärts trage.

 

Daran hat’s Mädchen nicht gedacht,

was sie dem Mann zum Ausgleich macht.

„Ich hab nichts mehr für dich als Lohn.“

„So gibt mir denn den Königssohn!“

 

Wie sollte sie sich da entscheiden?

„Ist gut so“, sagte sie bescheiden..

‘Ich komm ja nie zu Königs Erben.

Was soll’s, wer will so jung schon sterben.‘

 

Nachdem der Handel ist perfekt,

das Gold den Boden schon bedeckt.

Und wächst und wächst in Windeseile.

„Es ist vollbracht! Ich nicht verweile.“

 

Es öffnen sich die Tore wieder.

Das Mädchen streicht sich übers Mieder.

Als wäre da noch etwas Stroh.

Der König ist beglückt und froh.

 

„Du hast mir meinen Wunsch erfüllt.

Nun sei dein Lohn dir auch enthüllt.

Ich mache dich, zu Landesfreude,

zu meiner Schwiegertochter heute.

 

Mein Sohn ist hier. Nach Sitte, Brauch,

liebt er dich schon, lieb du ihn auch.“

So grade noch dem Tod entronnen,

hat sie den Königssohn genommen.

 

Bald schon ist die Hochzeitsfeier.

Trommeln schlägt man, spielt die Leier.

Gaukler, Kämpfer, Narr mit Glöckchen.

Damen, Dirnen – nur im Röckchen.

 

Wie auch des Müllers Tochter Vater

sich einreiht in das Theater.

Kurzum, recht bunt ist es beim Essen

und die Gefahr von einst vergessen.

 

Schon rasch Herolde verkünden,

daß nun das Paar in Hoffnung stünden.

Neun Monde, nach dem man gefreit,

liegt’s in der Wiege, was recht schreit.

 

Doch seine Mutter weicht nicht weg,

drum ist auch groß, ihr wahrer Schreck.

Genau so wie beim Stroh verspinnen

erscheint das Männchen von weit hinnen.

 

„Nun, Königin“, kam er gesprungen,

„will sehen, was dir da gelungen.“

„Laß Gnade vor dem Rechte walten.

Es ist doch nichts mehr, wie beim alten.

 

Nimm du vom Goldschatz dir das Best‘,

wenn du mir nur mein Kindlein läßt.“

Welch Angebot sie ihm auch macht,

„das Kind allein kommt in Betracht.

 

Nur will, der alten Zeiten wegen,

ich dir noch mal die Chance geben.

Vermagst zu nennen meinen Namen,

ist’s ob wir nie zusammen kamen.

 

Drei Mal zur Stunde komm ich wieder.

Am dritten hol ich Kindes Glieder.“

Und schon verschwunden ist der Zwerg.

Der Frau ihr Not ist groß wie ‘n Berg.

 

Nun muß sie ihrem Mann verkünden,

wie sie sich tat vor Jahr versünden.

„Nicht ganz allein bist Schuld du hier.

Mein Vaters Tun reicht nicht zur Zier.

  

Gemeinsam woll’n den Nam‘ wir finden.

Ich werd die Suche gleich verkünden.“

Man schickt nun alle Reiter aus:

Wie heißen könnt, des Rätsels Laus.

 

Schnell ist die Liste vollgeschrieben.

Nennst Buch sie auch – nicht übertrieben.

Ununterbrochen neue Kunde.

Dann ist er da, zur gleichen Stunde.

 

Die Königin hat’s Kind im Schoß

und legt mit ihrem Raten los.

„Ich glaube Hans und Hinkebein

wird wohl dein rechter Name sein.

 

Wie wär’s mit Hans und Fritz und Klaus?

Auch wie ein Otto siehst du aus.“

„Ei“, lacht sich das hämisch der Troll.

„bald hab ich, was ich haben soll!“

 

Schnell ist ein zweites Buch gefüllt.

Doch hat man tiefer schon gewühlt

nach alter, längst vergess‘ner Zeit.

Der Tag vergeht. Es ist so weit.

 

Heut habe ich, daß du es weißt,

den Namen raus, wie man dich heißt.“

Gleich welchen sie auch hat genannt.

Falsch war’n sie alle. Sand im Sand.

 

„Nun bleibt dir nunmehr noch ein Tag.

Wenn ich dich Morgen wieder frag,

und du sagst meinen Namen nicht,

dann siehst du nie mehr sein Gesicht.“

 

Zu dieser Stunde, tief im Wald,

der letzte Ritter, ihm ward kalt,

ist traurig weil er nicht gefunden,

obwohl er ritt die meisten Stunden.

 

da sieht er in der Ferne brennen

ein kleines Feuer. Will schon rennen

dort hin und jene Leute fragen,

ob Namen können sie ihm sagen.

 

Doch schaut er nur ‘nen einz’gen Mann,

der wild ums Feuer tanzen kann.

Dazu singt er ein wildes Lied,

wie er das Königskind abzieht.

 

Singt laut den Namen als Refrain.

Dem Ritter wird es langsam eng,

um rechtzeitig im Schloß zu sein

und dort den Prinzen zu befrei‘n.

  

In der Tat muß er sich nun sputen.

Nicht schont er das Pferd. Fünf Minuten

bevor die Tür ist letztmalig zu

nennt er das Wort. Geht dann zur Ruh.

 

Kaum bricht sie an, die Stund vor Tag,

erscheint mit einem Donnerschlag

der Gnom zum letzten Mal am Ort

der Frau das Kind zu nehmen fort.

 

Zu Anfang ist es wie gewohnt.

Das Männchen sich schon sieht belohnt.

„Frau Königin, die Zeit ist aus.

Für mich war es ein Ohrenschmaus.

 

Zum letzten Mal, sagt wer mich kennt …“

„… Euch Rumpelstilzchen stets nur nennt.“

Da stampft er auf, der Zwergenfuß

und Flammen züngeln ohne Ruß.

 

Er dreht sich drei Mal um die Achse,

sieht fast so aus, als ob er wachse.

Schreit auf: „Der Teufel hat’s verraten!“

Versinkt im Boden ohne Spaten.

 

Jetzt kommen alle Leute rein,

um glücklich mit dem Paar zu sein.

Von jenem kleinen Bösewicht,

sah niemals mehr man das Gesicht.

 

 [2009]