Rapunzel
Niemand kann in der Welt was werden,
denkt er zu zeitig schon ans Sterben.
Nur wer froh lebte Tag und Nacht,
der hat es auch zu was gebracht.
Wenn Mann und Frau sich gut verstehen,
gemeinsam nach den Kindern sehen,
dann gibt es für sie jederzeit
genügend Platz für Seligkeit.
Doch wenn der Mann, doch wenn die Frau
es mit der Herrschaft zu genau
nimmt, kann es durchaus schon passieren,
daß sie die Zweisamkeit verlieren.
Mir ist bekannt, vor langer Zeit
hielt glücklich einst ein Paar Hochzeit.
Allein, wie sie sich auch bemühten,
der Nachwuchs sproß nicht aus den Blüten.
Erst als die beiden schon in Jahren,
konnten sie von dem Glück erfahren,
wuchs doch ein Kind ihnen heran.
Wie froh waren da Frau und Mann.
„Noch glücklicher wär deine Frau,
bekäme ich, was ich dort schau
auf jener andren Mauerseite.
Rapunzeln, meine größte Freude.“
Das sprach die Frau mit dickem Bauch.
„Mir gut zu tun, das ist dein Brauch!“
„Ach, liebe Frau“, wiegt ab der Gatte,
„nur ungern spiele ich die Ratte,
die ungefragt im fremden Land,
das stielt und raubt, was sie dort fand.
Zumal, da unsre Nachbarin
soll sein ‘ne große Zauberin.“
Die Frau, in anderen Umständen,
ereifert sich und mit den Händen
geht auf den Ehemann sie los:
„Was bist du für ein Gatte bloß?
Nicht mal die allerkleinste Bitte,
erfüllst du mir. Willst, daß ich litte
an Hunger und an Ungemach.
Denkst an das Kind nicht. Weh und ach!“
Dem Manne ging es fürchterlich.
Er dachte fürwahr nie nur an sich
und um des lieben Friedens Willen,
ging er, die Gier des Weibs zu stillen.
Er überstieg im Mondenschein
die Mauer, weil er wollt allein
im Garten das Gemüse pflücken
und sich dann wieder schnell verdrücken.
Der Gartens Eigentümerin,
hatte jedoch dies nicht im Sinn.
Sie trat hervor aus einer Hecke
und drückt den Nachbarn in die Ecke.
„Du Frevler, Räuber, Dieb, Ganove!
Glaubst, du entkommst mir? Ach, o weh!
Mein bestes Kraut hast du gestohlen.
Der Teufel soll dich dafür holen!“
„Gebt Gnade, liebe Frau und gute.
Mir war nicht wohl beim Raub zumute.
Allein mein Weib, das nun gesegnet,
trug mir es auf und Ihr begegnet
hier einen armen gramen Mann,
der um Vergebung flehen kann.“
Die Zauberin nutzt diese Stunde:
„Hör zu und lausche meiner Kunde.
Noch einmal will dein Leben schonen
ich dir, doch womit willst du lohnen,
daß du bekommst von mir das Grüne.
Womit willst leisten du mir Sühne?“
Der arme Mann ist froh am Leben
und will der Frau gern alles geben,
ganz gleich, welch Ding sie auch begehrt;
es ist fürwahr der Kräuter wert.
„Ich hörte, du wirst bald ein Vater.
Dann schließen wir dies Hoftheater.
Du gibst mir euer Kind als Pfand.
Ihm besser geht‘s an meiner Hand.“
Was sollte da in seiner Not,
der Nachbar tun? Sonst wär er tot.
‚Vielleicht‘, so dachte er im Stillen,
‚vergißt die Hexe ihren Willen?‘
Er stimmte zu und stieg nach Haus,
wo seine Frau schon schaute aus
nach ihm und als er alles sagte,
sie auch nicht nach der Zukunft fragte.
Die kam schneller, als man dachte.
Ein Mädchen war es, das da lachte
in seiner kleinen Wiege drin.
Das, was versprochen, aus dem Sinn.
Das war‘s auch noch nach sieben Stunden.
Für beide Eltern unumwunden
das größte Glück auf dieser Welt.
Mehr noch als jeder Haufen Geld.
Doch als die drei ganz sorglos lebten,
vier dunkle Wolken auf sie schwebten
geradezu als letzte Mahnung
und eine bitterböse Ahnung.
Schon war vorbei das traute Glück.
Niemand gibt ihm das Wort zurück,
daß er in seiner Not aussprach,
als er die fremden Kräuter brach.
„Nun bin ich da, wie ich versprochen,
am Ende deiner Hoffnungswochen
das Kind zu nehmen von euch beiden.
Es soll jedoch bei mir nichts leiden.
Rapunzel soll das Mädchen heißen,
mit dem ich in die Welt werd reisen.
Nie werdet ihr sie wiedersehen.
Euch soll die Lust am Raub vergehen.“
Da flog sie fort mitsamt dem Kind.
Ihr folgte lediglich ein Wind
und den, den konnte niemand fragen.
Die Eltern konnten ’s nicht ertragen.
Inmitten eines alten Waldes,
wo Wasser warm nie fließt, nur kaltes,
da steht ein einsam hoher Turm.
Die Bäume schützen ihn vor Sturm.
Auch hält er jeden Ansturm auf.
Nicht Tür noch Steg führt dort hinauf.
Oben allein gibt’s eine Kammer,
die streng bewahrt den größten Jammer.
Dort wird Rapunzel hingesteckt,
damit man sie nie mehr entdeckt,
damit die Zauberin allein,
sich sonnen kann am Kinderbein.
Die Jahre gehen wie sie kommen.
Nie hat ein Mensch das Lied vernommen,
das als das Mädchen älter wurde,
es sang in seinem steinern Horte.
Auch sah kein Menschenauge gar
wie lang und schön Rapunzels Haar.
Einzig die böse Zauberin,
benötigt ‘s Haar wieder und hin.
Denn will sie zu dem Kind hinauf,
dann ruft sie fordernd zu ihr rauf:
„Rapunzel laß dein Haar herab,
damit ich was zum klettern hab!“
Das Mädchen knotet fest die Locken
und bald schon wird die Hexe hocken
mit ihr allein in hoher Stube.
Besser, es käme mal ein Bube!
Tatsächlich hat sich dann verirrt
ein Prinz, der suchte einen Wirt
für eine Nacht auf seiner Jagd,
weil er sich zu weit weggewagt.
Da hörte er ein Liedchen singen
am Turm, doch wollt ihm nicht gelingen
zur schönen Sängerin der Steg.
Drum sucht er einen andren Weg.
Den findet er, als er betrachtet,
wie jene Frau das Haar beachtet.
Und als sie weg am nächsten Morgen,
kann er sich ihren Zuruf borgen:
„Rapunzel! Laß dein Haar hernieder,
damit ich hochkrieg meine Glieder!“
Als dann das Haar fällt, glänzend, golden,
kann er hinauf zu seiner Holden.
Die erst einmal gar sehr erschreckt,
weil einen Mann noch nie entdeckt
sie hat in ihrem Jungfern Leben.
Der Prinz wird dies beenden eben!
So geht das nun die nächsten Wochen.
Mal steigt der Prinz, mal kommt gekrochen
die alte Zauberin hinauf. –
Der geht allmählich ein Licht auf:
„Was hast du loses Ding getan.
Schau dich und deinen Bauch nur an.
Das war von mir nicht so geplant.
Nun fällt euch zu, was nie geahnt
ihr habt bei eurer losen Gier.
Dein Haar bleibt fortan nur noch Zier!“
Dem Mädchen schnitt sie ab den Zopf
von ihrem wunderschönen Kopf.
Dann brachte sie das Kind weit weg,
an einen wüsten Wüstenfleck.
Dort sollte ihr, ganz ohne Hoffen,
ein glücklich Leben niemals offen.
Zurück im Turm die Hexe wacht,
daß auch der Prinz kommt über Nacht.
Zu diesem Zweck, als er erscheint,
läßt sie das Haar ab, das er meint,
sein Liebchen würde ihn erwarten.
Die Wahrheit versetzt einen harten
Schlag ihm. Als Abschluß ihrer Rache
stürzt er vom Fenster unterm Dache.
Fällt dann in spitze Dornen rein.
„Nie wieder siehst du Sonnenschein“,
verflucht die Zauberin den andern.
„Sollst blind durch fremde Länder wandern!“
Mit Augen, die schwarz wie die Nacht,
hat er sich auf den Weg gemacht.
Mit einem Wanderstock allein
findet er nirgendwo sein Heim.
Erneut vergehen Jahre schnell.
Für unsren Prinz ward es nicht hell.
Durch viele Länder zog es ihn;
nicht wissend warum und wohin.
Dann kam er in ‘nem fremden Land
zu einer Schenke, die da stand.
Draus drang süßer Gesang hervor,
geradewegs ans Prinzenohr.
Er stutzt: „Das ist doch wohl das Lied,
das mir von meiner Liebsten blieb.
Und auch die Stimme ist bekannt.
Ist es denn wahr, daß ich sie fand?“
Er tastet sich zur Tür hinein.
Rapunzel steht gleich wie ein Stein
und springt dann auf den Prinzen los.
Dann stutzt auch sie: „Was ist dir bloß?“
Nachdem er ihr ‘s berichtet hat,
fallen die Tränen gar nicht satt.
Es rollen zwei von eben diesen,
um seine Augen zu begießen.
Da stellt sich ein des Lebens Wunder.
Des Prinzen Augen werden runder
und wieder hell und klar sein Blick.
So greift die Liebe ins Geschick.
Jetzt wird noch mehr vom Augennaß
vergossen, jedoch der Anlaß
ist wahrlich ein ganz anderer.
Und jeder grüßt den Wanderer.
Auch jene Kinder, diese kleinen,
die Hand in Hand sich still vereinen
zu einem zaghaft scheuen Schritt,
bekommen die Bedeutung mit.
Sie treten vor und schweigen leise,
auf jene altbekannte Weise.
„Schau hier, mein Allerliebster, mein.
Sieh unsre beiden Kinderlein.“
Der Prinz hebt diese an die Brust,
küßt herzlich sie mit heißer Lust.
Dann holen sie sich ihre Sachen
und sehen zu, daß sie sich machen
auf den Weg in des Prinzen Land,
wo bald er seine Eltern fand
und wo man auch noch viele Monde
gesund und glücklich täglich wohnte.
[2009]