Frühe
Knospen
Der
Wind zog sanft um die Hausecke, als er den Hof seiner Großeltern verließ und
sich dem Unterdorf zuwandte. Der heutige Tag war kein besonderer; keiner, der
aus der Reihe der anderen Ferientage fiel. Und dennoch bahnte sich eine Veränderung
im Leben des Jungen an. Eine Veränderung, die jeder Junge und jedes Mädchen
irgendwann einmal in ihrem Leben durchmachen müssen. Davon jedoch ahnte weder
er noch all die anderen Beteiligten oder unbeteiligten etwas. Wie eben so oft
im der Welt.
Auf
halbem Wege zum Unterdorf bog er nach links ab und folgte der nur halbwegs
befestigten Straße. Nach wiederum nur ein paar Schritten stand er vor einer Tür,
welche das Haus seiner derzeitigen Spielkameradin vom Rest der Welt abschloß.
Er betätigte die elektrische Klingel und kurze Zeit später öffnete ihm eine
etwas korpulentere Frau die Pforte. Es war die Mutter seiner Freundin, welche
ihrerseits ihn begrüßte und ihn hereinbittend die sich anschließende Treppe
zum eigentlichen Hauseingang hinaufwies. Oben angekommen wartete er noch ein
Weilchen, daß sich die junge Dame für den Tagesspaß bereit machte. Sich die
Zeit durch ein gelangweiltes Herumblicken vertreibend, erspähte er auf der
Veranda unter all dem herumstehenden Schuhwerk auch die Gummistiefel der
Tochter des Hauses. Da sie in roter Farbe gehalten waren, erfreuten sie sein
Herz mehr, als die Exemplare, die seine Mutter ihm immer wieder zukommen ließ.
Wie gern hätte auch er etwas farbigeres getragen,
doch bislang hatte er sich noch nicht mit seinen Wünschen durchsetzen können.
Alsbald
kam nun auch das ihm zugeneigte weibliche Wesen aus dem Flur und zog, zu
seiner heimlichen Enttäuschung nicht die Stiefel, sondern ihre ganz alltäglichen
Sandalen an. Schließlich war es ja ein sonniger Sommertag und kein Wölkchen
zeugte vom Herannahen eines eventuellen Regensturzes. So war also leichtes
Schuhwerk angesagt und den Stiefelchen Abstinenz verordnet und das Warten auf
geeignetere Tage.
Inzwischen
hatten beide Kinder einander zugelächelt und strolchten durch den sich dem
Hause seitlich anschließenden größeren Garten.
Da gab es vielerlei zu entdecken und ausreichend
Grund für allerlei Neckereien und Schabernack. Dennoch schien den beiden das
umzäunte Grundstück nicht ausladend genug zu sein. Sie verließen ihn durch
eine seitliche Tür und wandten sich dem noch höher liegenden Dorfteiche zu.
Aber auch dieser Ort schien ihren heutigen Ambitionen nicht gerecht zu werden,
da sie ihn nicht nur sprichwörtlich links liegen ließen. Einander scherzend
rannten sie alsbald durch das kleine Tal neben dem Teich, sprangen über den
kleinen Bach, der das durch den Teich fließende Wasser ableitete, und
wanderten auf der anderen Seite den beackerten Anstieg wieder hinauf. Oben
angekommen erkletterten sie einen noch steileren Hang, um dann schließlich
und letztendlich auf dem oberen Feld der landschaftlichen Formation
anzukommen.
Beiden
wurde bewußt, welch wunderschöner Tag sie umfangen hatte und mit welcher
Leidenschaft er genossen werden wollte. Sie atmeten den lauen Duft des Weges
ein und fühlten sich als Kinder der Blumen und Bienen. Wie letztgenannte
tollten sie herum und wie erstgenannte lauschten sie still im Grase liegend
der freien Natur. Und sie lagen still beieinander und sie sahen sich still in
die Augen und sie scherzten mit ihren Blicken und sie kamen einander näher,
sich den ersten kindlichen Kuß gebend. Mit geschlossenen Augen und mit nicht
minder geschlossenen Lippen. Erstes zartes Liebeszeugnis zweier erwachender
Knospen unschuldiger Leidenschaft.
Eine
unbekannte Feuchtigkeit breitete sich auf seinen Lippen aus. Ein so
unbekanntes Gefühl, über dessen Wesen er sich nicht so recht klar wurde. War
es ihm nun angenehm oder nicht? War dieses Neue bereits schön oder nur ein
notwendiges Beiwerk des körperlichen Erwachens? Genierlich, mit einer
unsicheren Geste, wischte er mit seinem Handrücken jene neue, von ihr ihm
dargebotenen Feuchtigkeit ab. Und nahm doch zugleich wahr, daß ihr das
seinige Geschenk nichts auszumachen schien. So versenkte er sich in jene neu
gewonnene Erkenntnis zwischenmenschlicher Berührung. Und genoß die
nachfolgenden Küsse mit kindlichem Wohlgefühl.
Von
den Stimmen sich nähernder Jugendlicher aufgeschreckt, pirschten sich die
beiden Kinder durch die hangabwärts errichteten Kleingärten und das blumenübersäte
Brachland einer kleinen von zwei Armen des den Teich speisenden Baches
umschlossenen Insel. Leichtfüßig, wie bereits über jenen zweigeteilten
Bach, sprangen sie anschließend den
wiederum mit vielerlei Gräsern bewachsenen Hang zur mit Steinen aus Porphyr
gepflasterten Straße hinauf. Sich immer noch an den Händen haltend, überquerten
sie diese lachend und sich ihrer wohltuenden Zweisamkeit freuend.
Von
diesem Gefühl des Beieinanderseins berauscht stiegen beide alsbald an einer
geeigneten Stelle von der Straße einem erneuten Hang hinauf. Eine stattliche
Anzahl Buschwerk sicherte ihnen zusätzlich eine Intimsphäre, dessen Ausmaß,
ja sogar dessen bloße Existenz, Notwendigkeit unseren beiden Springinsfeld
nicht bekannt war. Obgleich ihnen durchaus daran gelegen, nicht von aller Welt
beobachtet zu sein, fühlten sie sich in keiner Weise dazu verpflichtet,
besondere Obacht auf Abgeschiedenheit zu legen.
Dem
sich hinter jenem Buschwerk verbergenden Feld folgend gelangten sie endlich an
eine Stelle, die ihnen so sehr zusagte, daß sie sich ein weiteres Mal
nebeneinander ins Gras legten und ihren Lippen von der Feuchtigkeit des
jeweils anderen zu kosten gaben.
Was
war es nun, daß die folgenden Unaussprechlichkeiten zum Vorschein brachten?
War es eine mit solcher Gewalt zu Ausbruch gebrachte Neugier? Eine im Reifen
begriffene Sexualität? Oder schlicht und einfach kindlicher Spieltrieb, sich
stets neues auszudenken aus reiner Lust am Spaß. Und das, ohne sich groß
Sorgen um das Danach oder gar das Warum zu machen. Auf jeden Fall verfielen
beide plötzlich der Idee, sich ihrer gesamten Kleidung zu entledigen und sich
dann mit der des jeweils anderen wieder zu bedecken.
Nicht
lange darauf hatten beide Söckchen, Hemdchen und auch das Höschen abgelegt
und betrachteten einander mit den Augen unschuldiger Kinder, deren Handeln
freilich nach den Maßregelungen prüder kleinbürgerlicher
Gesellschaftsstrukturen als äußerst verwerflich eingestuft werden würden.
Von dergleichen Angst um das moralische Wohlergehen der heutigen Jugend
verschont entdeckten beide jungfräuliche Nackedeis einander auf eine noch nie
dagewesene Weise. Er wohl etwas mehr als sie, da ihm sofort der ins Auge
fallende Unterschied ihrer beider Scham gewahr wurde. Dergleichen nie gesehen
fragte er sie in seiner natürlichen Unbekümmertheit, ob sie denn schon immer
zwischen ihren Schenkeln dermaßen „minderbemittelt“ gewesen sei. Diese
Frage war um so berechtigter für ihn, da er bislang, ohne eigentlich darüber
nachgedacht zu haben, stets davon ausgegangen war, ein jeder Mensch hätte
gleich ihm einen solchen Körperteil zwischen seinen Beinen. Zumal es ihm
recht praktisch erschien, dem eigentlichen Zweck des Ganzen zu frönen, dem
Urinlassen.
Wie
seine Begleiterin es denn nun bewerkstelligte; diese Frage verschwand in einer
tatkräftigen Aufmerksamkeit des Mädchens welches ihn seinen Blick nun wieder
auf sein eigenes Organ richten ließ. Mit einem Grashalm bewaffnet umspielte
sie sein inzwischen erigiertes Glied, was ihm wiederum ein paar schöne, nie
zuvor verspürte Gefühle bescherte. Doch auch in dieser Situation oder sogar
in dieser zeigte sich die wahre Unschuld beider, die einander erkannten ohne
sich wirklich als Geschlechter zu erkennen. Und so war jede vorpubertäre Berührung
frei von leidenschaftlicher Gier, die später einmal ihr Liebesleben
auszeichnen soll. Heute war eine Berührung einfach nur eine Berührung und
sonst nichts. Sosehr er es sich später in der Erinnerung auch anders gewünscht
hätte.
Daß
ihn am späten Nachmittag seine Mutter fragte, was er wohl so mit seiner
„Freundin“ hinter den Büschen
so gekichert habe, versetzte ihn einmal in die Gewißheit, nicht weit genug
vom Dorf entfernt gewesen zu sein und zum anderen durchfuhr ihn ein nicht
gerade unbehagliches Gefühl des Wissens um dieses Geheimnis.