Jorinde und Joringel
Lang ist es her, am fremden Ort.
Ein altes Schloß, man sprach von Mord.
Doch niemand hat je was gesehen
und du darfst niemals dahin gehen.
Nur was dort wirklich einst geschah,
das bringe ich euch heute nah.
In jener Burg auf Felsgestein
hauste ein Weib für sich allein.
Sie war, man sagt, figürlich schmächtig
und auch des Zauberns durchaus mächtig.
Besonders nachts, wenn alle ruhten,
tat sie sich mit dem Hexen sputen.
Sie lockte Tiere zu sich hin
und fraß sie auf als Hauptgewinn.
Kam mal ein Mann der Burg zu nah,
hieß das, ein Unglück ihm geschah.
Er wurde Stein durch Teufels Segen
und konnte sich nicht mehr bewegen,
bis daß ein Zauberspruch gesagt
oder ein Wunder ward gewagt.
War es jedoch ein Mägdelein,
so wurde sie ein Vöglein klein.
Dies kam dann in den Vogelkäfig.
Zig tausend war die Hex‘ nicht gnädig.
Mitunter, wenn der Wald zu still,
holte das Weib sich was sie will
von außerhalb in Nebelnächten.
Dagegen half kein Weidenflechten.
So war es einst auch mit zwei lieben
noch jungen Menschen, die sich trieben
einmal in jenem Wald umher.
Der Nachbarn Augen störten sehr.
Zwar wußten sie von der Gefahr,
doch ihr Verlangen größer war.
Sie sprangen durch der Bäume Reihen.
Kein Hader konnte sie entzweien.
Jorinde war der Jungfrau Namen,
als sie zu nah dem Schloßberg kamen.
Joringel hieß nunmehr der Knabe.
Trug schwarzes Haar, schwarz wie ein Rabe:
„Paß auf, daß wir dem Zauberschloß
entfernt genug sind.“ – „Sieh‘ die Ros‘!“
„Jorinde bleib nur stets bei mir.
Dann beißt dich sicher kein Getier.“
„Und siehst du diese arme Taube.
Tränen sind unter ihrer Haube.“
Drauf sang die Maid nach Vogelart
als Nachtigall ganz schön apart.
„Oh Liebste mein, was ist geschehen?
Soll ich dich niemals wieder sehen.
Und ach mein Bein, so seltsam schwer,
als ob aus Stein es eben wär.“
Ihn trog nicht seine böse Ahnung.
Da sah er auch als späte Mahnung
rings um sich manchen Burschen fein,
genau wie er, erstarrt zu Stein.
‘ne Eule setzt sich vor ihn nieder
und räkelt seitwärts ihre Glieder,
bis daß aus jener Fluggestalt
ein Weib springt, das schon ziemlich alt.
„Bist Herrin du in jedem Kleid.
Ich bitte dich, hab doch Mitleid
mit meiner liebsten Braut dort oben.
Wir werden nie im Wald mehr toben.“
„Ha“, krächzt die alte Zauberin
ihn an und lacht, „Wo denkst du hin?
Dein Weibchen ist grad gut genug
für mich und meinen Hexentrug.
Würd ich jetzt sie dir wiedergeben,
tät ich als Hex‘ nicht überleben.
Doch was sieht da mein Zauberstein?
Gelähmt ist nur dein rechtes Bein.
Nicht nah genug warst du bei mir.
Doch humpeln mußt du jetzt dafür
dein Leben lang durch diese Welt.“
Dann flog sie fort durch Zaubergeld.
Joringel griff nach einem Stock,
erhob sich und mit schwerem Rock
schleppte er sich aus Jagen fünf
durch Wald und Wiesen, Moor und Sümpf.
Nach Hause traute er sich nicht
bevor Jorinde kein Gesicht
hat wieder wie vor diesem Tag.
Wie lange das auch dauern mag.
Ein Jahr verging und dann das zweite.
Der Jüngling hatte keine Freude
mehr an seinem eigenem Leben.
Hätt‘ gern viel mehr als das gegeben.
Doch niemand konnte Trost ihm schenken.
Er mußte stets an sie nur denken
und welches Glück sie zwei versäumen.
In einer Nacht tat er was träumen
von einer Blume rot wie Blut,
‘ne Perle in der Blüte ruht.
Die Zauberin wird er bezwingen
und mit Jorinde wieder singen.
Als er erwachte dann am Morgen,
gab es für ihn nicht andre Sorgen,
als möglichst bald den Strauch zu finden,
woran dort wächst die Blume hinten.
Neun Tage lief er und neun Nächte.
Die Beine waren gute Knechte
obgleich das eine steif und schwer.
Half doch das andre umso mehr.
Am zehnten sah er in der Ferne:
Zwei Vögel knackten Blumenkerne
in einem Strauch voll spitzer Dornen.
Doch konnte etwas ihn anspornen
noch schneller zu dem Strauch zu schwanken,
denn hinter all den scharfen Ranken
sah er es rot wie Blut aufleuchten.
Sein Nahen die Vögel nicht verscheuchten.
Als er dann drang zur Blume vor,
schien ihr Geschrei ihm wie ein Chor
von herrlich göttlichem Gesang.
Da wurde ihm mitnichten bang.
Die Arme blutend wie die Hände.
Doch hoffend auf des Schicksals Wende,
lief er den gleichen Weg zurück.
Ich mach es kurz: Er hatte Glück,
kam ohne Zwischenfall nach Haus
und ging zur Burg geradeaus.
Vorbei an all den armen Buben,
zu Stein verharrt dank Hexenruten.
Durch Zauberkraft der Blume stand
er unversehrt am Tor und fand
auch schnell hinein und ohne Worte
sucht er nach dem geheimen Orte
an dem sein Lieb hoffend noch lebt
im Vogelkäfig, der da schwebt
mit vielen andren im Verstecke
an irgendeiner Zimmerdecke.
Dann fand er sie in jenem Saale,
wo Hexenkunst mit einem Male
nicht mehr die Macht hat zu betören
und Menschenleben zu zerstören.
„Du Bursche!“ schrie die Zauberin,
die aufgeregt lief her und hin.
„Warum bist du denn nicht aus Stein?
Wie konntest du nur hier herein?“
Doch als sie ihn dann packen wollte,
er schnell sich zu den Vögeln trollte.
Auch kam sie kaum zwei Meter ran.
„Na, schau dir dieses Bübchen an.
Nur wenn du findest die Jorinde,
vergeht der Zauber wie im Winde.
Nimmst du jedoch die falsche Braut,
es deine Zauberkraft verbaut.“
Sogleich wollt sie den Saal verlassen,
nicht ohne vorher schnell zu fassen
den wahren Käfig, das Gefängnis.
Gerade das ward zum Verhängnis
ihr, denn mit einem hellen Schrei
lockt ihn Jorinde schnell herbei.
Er nimmt die Blume und berührt
den Bauer, den die Hex entführt.
Sogleich stand vor ihm sein lieb Mädchen.
So schön wie dazumal im Städtchen
und auch die Hexe steht nun still,
obwohl sie wahrlich flüchten will.
Nachdem Jorinde und Joringel
sich küßten nahm der gute Schlingel
die Zauberblume wieder auf;
zerstört den Fluch im schnellen Lauf.
So wie die Mädchen und die Buben
nun heimwärts zu den eignen Stuben,
ziehen Joringel und Jorinde
endlich zu ihrem Brautgebinde.
Zur Hexe sei nur eins zu sagen:
Ihr braucht mich weiter nicht zu fragen.
Kaum war verschwunden aus dem Reich
das letzte Opfer war sogleich
auch aufgelöst der böse Hort,
Mit einem Wort: War alles fort.
Und solltet ihr heut danach suchen,
findet ihr nichts als alte Buchen.
[2009]