Märchen

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Die Gänsemagd

 

Im Märchen ist es meistens so:

es stirbt die Frau, der Mann ist froh,

weil er alsbald ist neu beweibt.

Die es dann aber böse treibt.

 

Nicht so in jener Blutgeschichte,

in welcher ich vom Tod berichte,

von Schmach und Schande, Traurigkeit;

von List und Tücke, Haß und Neid.

 

Ich mach es kurz, es starb der Mann

und König auch eh man begann

für beider einzig Tochter klein

zu sorgen wie es müßte sein,

 

damit ihr kleines Heimatland

sich stets in festen Händen fand.

So gab die Frau in ihrer Not

das Kind zur Heirat wegen Brot

 

bereits in jungen Jahren weg.

Das Mittel heiligt Königszweck.

Zwei Herrscherreiche so vermählt

gibt’s oft in jener Glitzerwelt.

 

Kurzum, die Zeit war nun gekommen,

daß Frau und Kind Abschied genommen.

Dabei stach sich die Mutter sacht

in ihren Finger. „Gebt gut Acht“,

 

sprach sie zu den drei Tropfen Blut

auf jenem Tüchlein. „Seid so gut.

Damit meinem lieb Töchterlein

kein Unglück droht für Seel‘ und Bein.

 

Auch soll sie ihren Schimmel haben.

Den Falada, der sanft beim Traben.

Und eine Magd, von der wir hoffen,

daß sie ihr hilft. Das Glück sei offen

 

für jetzt und alle Ewigkeit. –

Komm Tochter. Drück mich. Es wird Zeit.“

Das Mädchen nahm das Tuch, den Schimmel

und hofft auf Hilfe selbst vom Himmel.

 

Doch oft sind jene Lichtgestalten

so hilfreich nicht. Drum muß man halten

sich selbst an seine eigne Kraft

will man, daß man sein Leben schafft.

 

Man kann nun sagen, daß die Maid,

hochwohlgeborene Hoheit

nicht sehr vertraut der eignen Macht

als vielmehr glaubt, die Magd sei sacht.

 

Die wiederum greift unverdrossen

und ganz geschickt in Schicksals Sprossen

als Lady mag um Wasser bitten:

„Hol ’s dir doch selbst. Ich hab gelitten

 

lange genug mit wenig Lohn.

Prinzessin, bald hab ich den Thron.“

Die Königstochter geht zum Fluß,

weil sie ’s Wasser selbst holen muß.

 

Dabei hört sie die Tropfen Blut:

„Wüßt ‘s deine Mutter, nicht wäre gut

es um ihr schwaches Herz bestellt.

Bräch schneller als Glas in der Welt.“

 

Zwei Mal lief das genau so ab,

dann nahm die Magd vom Weg ‘nen Stab

und zwang das Kind vom Königshaus:

„Los, ziehe deine Sachen aus!

 

Wir werden alles tauschen jetzt.

Und schau mich nicht so an, entsetzt.

Du kannst auf meinem Klepper reiten,

während als Braut ich werde schreiten

 

zu jenem Königssohne hin.

Schlag weiter völlig aus dem Sinn

dir, daß du diesen Tausch verrätst.

Weil du dann nicht mehr lange lebst.“

 

Das arme Mädchen mußte schwören:

Kein Mensch vom Wechsel wird was hören.

Dann zogen beide flußwärts weiter.

Das Blut im Tuch mitnichten heiter:

 

„Wenn deine Mutter müßt das sehen,

Ihr Leben würde jäh vergehen.“

Drauf unbemerkt das Tüchlein fiel

ins Naß mit unbekanntem Ziel.

 

Auch Falada, das arme Roß,

mußt leiden schwer im andren Schoß.

Sie trat und schlug den armen Gaul,

obwohl er wahrlich nichtens faul.

 

Als sie im neuen Reich eintrafen

wurden begrüßt sie von den Grafen,

den Rittern, allen Edelleuten,

die sich mitsamt des Königs freuten.

 

Auch jener Prinz, der Bräutigam,

die beiden in Willkommen nahm.

Er hob die falsche Braut vom Pferd.

Die echte war in sich gekehrt.

 

„Die hab ich unterwegs gefunden.

Mich kümmert nicht, wenn sie verschwunden.

Doch bleibt sie hier, so soll sie werken

und ihr Antlitz der Welt verbergen.“

 

„Wie du es magst, oh holde Braut“,

antwortet Prinz der Zofe laut,

„so soll es mit ihr auch geschehen.

Man wird sie niemals oft hier sehen.

 

Es gibt hier einen Gänseknaben.

Der soll zum Hüten sie mithaben.“

„Und noch etwas, mein lieber Herr,

hab ich auf meinem Herzen sehr.

 

Das Pferd, auf dem ich bin geritten,

ist schuld daran, daß ich gelitten

hab all den ganzen weiten Weg.

Drum sag, daß man den Kopf abschlägt

 

ihm hier und jetzt zu dieser Stunde.

Dann zeig das Schloß mir Rund um Runde.“

Der Königsohn vernimmt den Willen

und schickt sich an, ihn zu erfüllen.

 

Die wahre Braut indes in Trauer

legt sich bei Falada auf Lauer

bis das der Schlachter mit dem Beil

heran ist. „Warum ich verweil‘?

 

Das Geld, du lieber guter Mann,

ist dein, nagelst den Kopf du an

das Tor zur Gänsewiese hin.

Nichts weiter habe ich im Sinn.“

 

Ihr ward versprochen dies zu tun.

Jetzt blieb ihr nur noch auszuruh’n,

um dann am andren Tage schon

Gänse zu hüten für den Lohn

 

den sie nun braucht zu ihrem Leben.

Der Kummer ließ ihr Herz erbeben.

Es bebte auch als tags darauf

sie blickte zu dem Tor hinauf

 

und sah den Kopf von ihrem Pferd.

Da hat sie sich ganz leis beschwert:

„Oh Falada, der du da hangest.“

„Oh Jungfer du, die du da gangest.

 

Wüßt deine Mutter von der Schande.

Ihr Herz zu schlagen außerstande.

Es wär ihr längst im Leib zersprungen.“

Die Gänsemagd folgt stumm dem Jungen.

 

Dann auf der Wiese bei den Weiden

sollen die Gänse Futter schneiden

für ihren Magen, das Gefieder.

So geht es tagaus, tagein wieder.

 

Das Mädchen setzt sich in das Gras.

Will kämmen sich (und pudern Nas‘).

Mit großen Augen sieht der Knabe

die goldnen Haare. „Wenn ich habe

 

auch eines nur, es tät mich glücken.“

Will rasch sich zu dem Schopfe bücken.

Doch ehe er reißt es heraus,

spricht sie ein kleines Sprüchlein aus

 

vom Winde, der dem Gänsejungen

das Hütchen greift bis es entsprungen

und jener dieses jagen muß

bis Haare sind gekämmt zum Schluß.

 

Da setzt ein Wind zu blasen an.

Der Hut ist weg und wie er rann‘

der Bursche hin und her sogar.

Inzwischen pflegt sie goldnes Haar.

 

Als Abend kündet an die Nacht,

ist alles Kämmen längst vollbracht.

Auch hat das Kürdchen seinen Hut

und man denkt sich, jetzt ist es gut.

 

Mitnichten glaubt der Junge nun,

es hat mit rechtem Ding zu tun.

Ihm schaudert wohl an diesem Tag.

Doch geht zur Ruh er ohne Frag.

 

Jedoch als dann am andren Morgen

die gleiche Prozedur, macht Sorgen

er sich um seine eigne Haut.

Zum König abends spricht er laut

 

wie er es nur zu ihm sein darf,

beschwert er über sie sich scharf:

„Nie wieder will ich mit ihr gehen.

Soll doch ein andrer gleiches sehen.“

 

„Was ist denn schlimmes an ihr dran?“

fragt da der alte Königsmann.

„Nicht ganz geheuer ist ihr Wesen.

Von ihren Taten nie gelesen

  

ich habe und niemals gehört.

Grad so, als ob sie Geist beschwört.“

Der alte König, der das Wort

des Knaben glaubt, befiehlt sofort

 

die Gänsemagd zu sich herein,

um selbst zu sehn, was wahr, was Schein.

„Nun, Mädchen, sag die Wahrheit mir,

was treibst du hinter deiner Tür?

 

Was soll das Brummeln dort am Tor?

Auch kommt der Wind mir seltsam vor.“

„Oh, Majestät, ich darf‘s nicht sagen.

Sonst geht es mir an meinen Kragen.“

 

„Sagst du es nicht in meinem Sinn,

erzähl es heimlich dem Kamin.

Klag jenem Ofen dort dein Leid.

Ich glaub, dafür ist jetzt die Zeit.“

 

Tatsächlich, als der König fort,

eilt die Prinzessin zu dem Ort,

an dem sonst Holz und Kohle brennen,

um in der Asche laut zu flennen.

 

„Ich arme Königstochter klein,

wie trag ich schwer das Schicksal mein.

Mußt tauschen Namen, Pferd und Kleider

mit böser Magd. Wie geht es weiter?

 

Ach, wenn mein armes Mütterlein,

das wüßte. Ihr Herz täte schrein.

Es tät ihr wohl im Leib zerspringen. –

Ich hör des Königs Glöckchen klingen.“

 

Des Landes Herrscher reicht die Hand

ihr, denn an rückwärtiger Wand

hat er das alles gut vernommen

und ist dem Mädchen wohl gesonnen.

 

Er läßt in Pracht sie nun einkleiden

und auch ein wenig seitwärts schreiten.

So sieht er klar, in welchem Stand,

das Mädchen ihre Wiege fand.

 

Er teilt das seinem Sohne mit

und fühlt, wie dieser darum litt,

daß er der falschen Braut aufsaß

und sie schon fast sein Herzblut fraß.

 

„Nun denn, was sollen wir jetzt machen?

Das sind nicht minder schwere Sachen.“

meint ratlos des Monarchen Junge.

Indes des Vater kluge Zunge:

 

„Wie es von alters her der Brauch,

so machen wir es heute auch.

Sie selbst soll sagen, was sie tat

und dann ihr Urteil gibt uns Rat.“

 

Man holt die böse Magd herbei

und stellt ihr dann vollkommen frei

zu sagen was man machen soll

mit einer Frau, die es trieb toll.

 

Die Antwort hat sie schnell gefunden:

„Nackt wird das Weib ins Faß gebunden.

Mit Nägeln, die nach innen zeigen.

Nie hört sie dann des Himmels Geigen.

 

Dann schleift man sie durch Dorfes Gassen.“

Jetzt darf die Wache sie anfassen,

um nun sogleich nach eigner Wahl

gerichtet zu werden voller Qual.

 

Die wahre Braut hat unterdessen

niemand am Hofe hier vergessen.

Als sie erscheint in ihrer Pracht,

das Hochzeitspaar nun glücklich lacht.

 

Man feiert wie noch nie im Land,

weil jener Prinz die rechte fand.

Auch wird die Mutter eingeladen,

damit ihr Herz auf sanften Pfaden.

 

[2009]