Märchen

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Aschenputtel

Oft zählt auf dieser schnöden Welt

die Liebe weniger als Geld.

Und haben sich mal zwei gefunden,

dann hält‘s  nicht länger als zwei Stunden.

 

Nicht so bei diesen beiden hier.

Da hält die Liebe mehr als vier.

Sie haben gar ein Mägdelein.

So wunderschön, das muß so sein.

 

Wo sich jedoch das Glück hinwendet,

gibt’s bald ein Unglück, der dies endet.

Nun kommt es oft im Märchen vor,

daß guter Vater Frau verlor.

 

Hier in persona Sensenmann.

Die Mutter starb. Wem lag daran?

Es blieb der Mann allein drei Winter.

Nahm neue Frau, die hat zwei Kinder.

 

Doch bald sah schon die Nachbarschaft,

mit diesen drein ist er gestraft.

Besonders merkt das eigne Kind,

wie böse böse Schwestern sind.

 

Obwohl es war genug im Haus,

reicht es kaum für der beiden Schmaus.

Auch wollen sie an jedem Tage

was andres haben – keine Frage.

 

Zwar sind die Truhen brechend voll,

doch „neue Kleider wären toll.“

So schafft der Vater wie ein Pferd.

Ich glaub, da läuft wohl was verkehrt.

 

Die eigne Tochter muß verzagen

und stets und ständig Lumpen tragen.

 „Das sei zuweilen noch zu gut.“

Dem Mädchen verläßt jeder Mut.

 

Wenn andre Kinder spielen Hasche,

hat sie zu bleiben in der Asche.

Hat dort zu scharren wie die Hennen

und muß sich Aschenputtel nennen.

 

Der Vater, der ein Kaufmann war,

muß wieder weg, wie jedes Jahr.

Er wollte ihnen was mitbringen.

Den Schwestern lag an goldnen Ringen.

 

„Und du, mein kleines Töchterlein?

Was soll es für dich nun sein?“

„Ich brauch nicht mehr, als ich schon hab.

Bring einen Zweig, für Mutters Grab.“

 

So fuhr der Vater sinnend fort,

zu wirken an dem fernen Ort.

Dem Mann gelang ein guter Handel,

weil Mode ist in stetem Wandel.

 

Mit den Geschenken reich beladen,

fährt er nun heim auf alten Pfaden.

Er hält sich seinen dicken Bauch,

da fällt ein Zweig vom Haselstrauch.

 

Den hebt er auf und nimmt ihn mit,

damit sein Töchterlein nicht litt.

Die nimmt den Zweig und pflanzt ihn nieder

Gießt ihn mit Tränen immer wieder.

 

So wächst aus diesem kleinen Reisig

ein großer Baum, weil Liebe fleißig.

Und was mag das sein für ein Wunder?

Wenn sie was wünscht, vom Baum fällt‘s runter.

 

Es trug sich zu in diesem Land,

daß auf dem Schloß ein Ball stattfand.

Der Prinz, der wollte endlich frei‘n

und lud zum Ball sich Gäste ein.

 

Das war so recht nach dem Geschmack

von Mutter, Schwestern. Ganz in Lack.

Auch Aschenputtel möchte gehen,

um sich den Ball mal anzusehen.

 

„Nichts da!“ ruft ihre böse Mutter.

„Siehst du die Körner da. Das Futter

muß von dir Ding sortiert erst werden

hier aus der Asche bei den Herden.“

 

Sie nimmt zwei Schalen voll mit Linsen

und unter einem hämisch Grinsen

verstreut sie diese in den Dreck.

„Wenn wir zurück, ist alles weg!

 

Hier noch die Erbsen mit dazu.

Ich glaub, dann hast du keine Ruh.“

Die Schwestern sehen dies und lachen

und kleiden sich in neue Sachen.

 

Kaum sind die drei dann fortgegangen,

die Maid zu weinen angefangen.

Da öffnet sich das Fenster gar.

Herein fliegt flugs die Taubenschar.

 

Das Mädchen läßt den Stubenbesen:

„Helft mir die Körner auszulesen.

Die guten legt mir in den Topf.

Die schlechten steckt euch in den Kropf.“

 

Die Vögel machen ‘s ganz geschwind

und aus der Stube rennt das Kind.

Sie eilt zu ihrer Mutters Grabe,

zu holen sich des Baumes Gabe.

 

Das Bäumchen rüttelt, schüttelt sich.

„Das Kleid und Schuhe sind für mich?“

Schnell hat sie diese angezogen

und ist zum Schloß wie hingeflogen.

 

Dort fängt man grad zu tanzen an.

Die Frage steht, wer’s besser kann.

Da sind die Reichen und die Schönen

gewillt, den Prinzen zu verwöhnen.

 

Auch Kaufmanns Töchter sind dabei

und schubsten sich die Wege frei.

Doch weder jene, diese da

kommen dem Wählenden recht nah.

 

Da öffnet sich des Saales Pforte

und wie aus himmelsgleichem Orte

erscheint als wahre Traumgestalt

ein Mädchen schön, jung, nicht zu alt.

 

Der Prinz hat sie sofort erwählt.

Kein andres Weib für ihn mehr zählt.

So tanzen sie bis Mitternacht.

Ein Schleier ihr Gesicht bewacht.

 

Die Glocke schlägt die zwölften Runden.

Schon ist das Mädchen flugs verschwunden.

Der Prinz steht einsam und verlassen.

Auch alle Damen steh’n im Nassen.

 

Als nun des Kaufmanns neue Frauen,

spät abends nach dem Mädchen schauen,

liegt es am Feuer, das noch helle.

Die Körner sind an Ort und Stelle.

 

Am nächsten Tag, der Hof bestimmt,

ein neuer Ball den Anfang nimmt.

Auch diesmal gehen die drei Bösen

dort hin, als wäre nichts gewesen.

 

Doch will der Kronprinz sich nicht rühren,

will nur die fremde Schönheit führen.

Schon steht sie da, in Silber jetzt.

Der Neid der Mäuler wird gewetzt.

 

Doch niemand kann es lauthals wagen

auch nur ein Sterbenswort zu sagen.

Es weiß ja niemand wer sie ist.

Hilflos scheint jede Hinterlist.

 

Genau so wie beim letzten Mal,

verläßt um Mitternacht den Saal

die vollkommen unbekannte Maid.

Ihr Tänzer bleibt in seinem Leid.

 

So scheucht er alle Gäste fort.

Hofft, Morgen an dem selben Ort,

die schöne Tänzerin zu sehn.

Will keine andre für sich nehm.

 

Wohl weiß er schon, daß sie entflieht,

wenn er nicht Schicksalsstricke zieht.

So läßt er Treppenstufen teeren,

um ihr das Flüchten zu verwehren.

 

Als dann am Abend schlägt die Glocke,

erscheint sie in ‘nem goldnen Rocke.

Kein Wort fällt wieder zwischen beiden

und als es Zeit ist will sie scheiden.

 

Sie rennt um viele Mauerecken,

doch auf der Treppe bleibt sie stecken.

Nicht lange währt des Prinzen Glück.

Nur einen Schuh ließ sie zurück.

 

Er gibt im ganzen Land bekannt,

was für ‘nen Trostpreis er jetzt fand:

„Wem immer dieser Schuh auch paßt,

wird meine Frau in dem Palast.“

 

Herbei nun strömen alle Damen.

Selbst blinde, taube, gar die lahmen.

Doch wird die rechte nicht gefunden.

Sie ist und bleibt nun mal verschwunden.

 

Als dann der letzten Frau im Land

mitnichten dieses Schuhwerk stand,

macht sich der Prinz selbst auf die Suche,

zu finden sie, wie’s steht im Buche.

 

So kommt er bei dem Kaufmann an.

Den ganzen Hofstaat als Gespann.

Die Frau des Hauses ist entzückt:

„Vielleicht ein zweiter Versuch glückt?“

  

„Na, meinetwegen, gute Frau.

Macht hin, daß ich es endlich schau.“

meint schon genervt, des Prinzen Junker.

Das Aschenputtel sitzt im Bunker.

 

Bevor sie in das Schuhchen steigen,

will Mutter Schicksals Waage neigen.

zu einer ihrer Töchter hin.

Betrug hat derweil sie im Sinn:

 

„Schneid ab die Zeh, die Färse hacke.

Dann paßt der Pumps und auch die Jacke,

die eine von euch beiden Frauen

dann trägt, wenn er sie wird just trauen!“

 

Der einen ist des Opfers viel,

der andren fehlt es an Gefühl.

Auch wenn es ihr den Atem raubt,

hat sie sich in den Schuh geschraubt.

 

So tritt sie zu der Brautschau vor.

Zwei Tauben sitzen auf dem Tor.

Sie schaun der ganzen Tücke zu

und gurren laut: „Blut ist im Schuh!“

 

Als Junker Karl hat nachgeschaut,

erkennt er’s und wird furchtbar laut.

Doch meinen leise Seine Gnaden:

„Gibt’s noch ‘ne Frau hier. Euer Schaden

 

soll es nicht sein, wenn ich sie finde.

Euch winken dann goldne Gewinde.“

Da denkt sich jene alte Schranze:

‚Wenn ich nicht haben kann das ganze,

 

so nehm ich auch vom Schatz ein Teil.‘

Und laut zum Prinz: „So schnell nicht eil,

mein Fürst, wir haben da noch eine.

Das ist jedoch nicht grad ‘ne Feine.“

 

„Das ist egal. Führ sie uns vor.

Sonst hängt ihr drei dort an dem Tor!“

Obwohl sie sich die Haare raufen,

sah man sie noch nie so schnell laufen.

 

Das Aschenputtel wird gebracht.

Dem Prinzen schon die Hoffnung lacht.

Auch wenn er nicht erkennt die seine,

hat sie doch zierlich kleine Beine.

 

„Hab keine Angst, du braves Kind.

Steig in den Schuh. Mach hin. Geschwind!“

Trotz schwarzer Füße, die sie hat,

schlüpft in den Schuh sie rein, ganz glatt.

 

Er paßt ihr, da für sie gemacht.

Des Prinzen Herz im Leibe lacht.

Auf’s Pferd wird sie ihm hochgehoben.

Er gibt die Sporen. Funken stoben.

 

Jetzt gibt es eine Traumhochzeit,

weil auch das Mädchen ist bereit.

Was aber wird mit ihren Schwestern?

Sie sind verbannt – So war es gestern.

 

 [2009]