Märchen

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Der Wolf und die sieben Geißlein

Was nützt dem Wolfe Frühlingslicht,

wenn in ihm laut der Hunger spricht?

Zwar läßt die Sonne nichts vereisen,

doch hat der Graue kaum zu beißen.

 

Er schleicht mißmutig durch das Tann

und knabbert schon Gemüse an.

Das bringt ihn nun zwar auch nicht weiter,

doch Not bekanntlich macht gescheiter.

 

So sinnt er aus manch Hinterlist,

damit sein Bauch beruhigt ist.

Unweit von seinem Bettelort

hört man der Geißen mahnend Wort:

 

„Ich sage es euch noch mal weise,

seid wachsam, wenn ich jetzt verreise.

Dort draußen schleicht der Wolf umher.

Ihm schmecken kleine Geißlein sehr.“

 

Es sind der Kinder ihrer sieben,

die ihre Mutter wahrlich lieben

in einem kleinen Haus am Wald.

Der Geißbock ist schon lange kalt.

 

„Ja, Mutter, wir sind brav und lieb.

Nie Zutritt hat der graue Dieb.

Auch hört man seine Stimme rauh.

Das alles wissen wir genau.“

 

„Nun denn,“ sagt ihre lieb Mama,

„wenn das so ist, ihr wißt es ja,

daß ich muß auf den Markt hingehen,

um mich nach Futter umzusehen.“

 

Die kleinen Geißlein ohne Not,

verstehen das, man braucht ja Brot

und andre schöne Dinge mehr,

die von alleine komm‘ nicht her.

 

„Bring uns was Schönes mit zur Freude.

Wir sind besonders lieb, denn heute

sind wir das erste Mal allein.

Geh unbesorgt. Was soll schon sein?“

 

Die alte Geiß nimmt Sack und Ranzen.

Zum Singen ist ihm nicht, zum Tanzen

noch weniger dem Mutterherz.

Sie schließt die Tür mit leichtem Schmerz.

 

Das sieht von fern der Wolf. „Zum laben

werde ich heute Geißlein haben.

Die lasse ich mir munden, schmecken.

Brauch Hungers nicht mehr zu verrecken.“

 

Kaum ist die Mutter weg vom Ort,

plant schon der Räuber Fraß und Mord.

Er springt hervor, versucht sein Glück:

„Macht auf, ihr Geißlein, bin zurück.“

 

Im Hause herrscht jetzt Totenstille.

„Das ist nicht Mutters guter Wille“,

erkennen schnell die schlauen Kinder.

„Die Stimme rauh ist wie der Winter.

 

Nein, unsre Mutter bist du nicht!

Denn so wie du sie niemals spricht.

Viel eher wirst der Wolf du sein,

drum lassen wir dich auch nicht rein!“

 

Das ist dem Grauen gar nicht recht.

Er knurrt laut auf, ist bös und schlecht.

Doch kann er reinweg nichts verändern,

muß abzieh‘n und woanders stänkern.

 

Sein Weg bringt ihn zur Krämersfrau.

Die weiß um die Gefahr genau.

„Gib Kreide mir, sonst muß ich packen

dich, daß dir gleich die Knochen knacken.“

 

Alsbald hat er den Stab verschluckt,

auch wenn’s in seiner Kehle juckt,

so rennt er schnell zum Geißenhaus,

Probiert dort seine Stimme aus:

 

„Macht auf, ihr lieben Kinderlein.

Bin eure Mutter, bin daheim.

Hab leckeres euch mitgebracht.

Macht mir schnell auf, sonst wird es Nacht.“

 

Zwar ist die Stimme hell und rein,

doch zeigt die Pfote falschen Schein.

An ihr erkennen es die Kleinen,

daß hier nicht alles ist im Reinen:

 

„Die Mutter bist du nicht, du Grauer.

Es überläuft uns kalt der Schauer,

daß du uns willst hier drinnen fressen.

Doch dieses kannst du rasch vergessen!“

 

Erneut muß ziehen seinen Weg

das Raubtier und meint: „Das ist schräg.

Soll ich mir dieses sagen lassen?

Das ist doch wahrlich nicht zu fassen.“

 

So trottet er stur vor sich hin.

Da kommt alsbald ihm in den Sinn,

zur Mühle auf dem Berg zu schleichen.

„Mit Mehl kann ich den Arm mir bleichen.“

 

Der Müller ist ein starker Mann

und traut sich an den Wolf schon ran,

doch hat er eines auch bedacht,

was dieser mit der Tochter macht,

 

wenn nicht gelingt, ihn einzufangen.

Drum gibt er hin mit großen Bangen,

was jener von ihm haben will.

„Ein wenig Mehl, das ist nicht viel.“

 

‚Das reicht wohl aus, eventuell‘,

denkt sich der Wolf. ‚Noch ist es hell,

damit den dummen, kleinen Geißen,

ich meine Herkunft kann beweisen.‘

 

Bevor die Sonne untergeht

und für den Räuber ist zu spät,

zu greifen sich die fette Beute,

auf die er sich schon lange freute,

 

rennt er zu der besagten Hütte.

Dort angekommen: „Bitte, bitte!

Laßt ein mich doch ihr kleinen Süßen,

Bin eure Ma, mit weißen Füßen.“

 

Nachdem die Kinder dies vernommen,

da glauben sie, nach Haus gekommen

ist zurück die liebe Mutter.

Hat den ganzen Korb voll Futter.

 

Die Stimme stimmt, die Beine weiß –

wer soll es sein, wenn nicht die Geiß?

So schieben sie den Riegel auf –

der Wolf springt rein im schnellen Lauf!

 

Da ist das Chaos riesengroß,

weil alle Geißlein chancenlos.

Zwar springen sie wild in die Ecken,

um sich da drinnen zu verstecken;

 

das eine unter einen Stuhl,

das zweite in den Badepfuhl,

das dritte springt hinein ins Bett,

dem vierten scheint der Vorhang nett,

 

Nummer fünf steckt mitsamt dem Kopf

in einem großen Speisetopf

und Nummer sechs hat sich gedacht,

das Sofa ist für mich gemacht.

 

Das kleinste findet eines nur –

den Kasten von der großen Uhr.

Freilich all das hat wenig Zweck,

denn eins ums andre frißt er weg,

 

der böse, graue Isegrimm.

„Mein Hunger war ach gar so schlimm!“

Ein-, zwei Mal schaut er sich noch um,

dann trollt er sich mit Wohlgebrumm.

 

Vielleicht vergangen sind zwei Stunden,

daß jener Vielfraß ist verschwunden,

als mit entsetzlich starrem Blick

die Geiß muß schauen das Geschick.

 

Sie wirft beiseite alle Sachen

und schreit: „Was soll ich Arme machen?“

Da wagt sich aus dem Uhrenhaus

das kleinste Geißlein bang heraus.

 

Sie fallen sich gleich in die Arme

und weinen, daß sich Gott erbarme

und dann berichtet von der Tat

das Lüttchen, wie der Wolf sich naht.

 

„Nun denn, hier können wir nicht bleiben.

Dem Bösen muß man es austreiben.

Ich glaube hinter naher Quelle

liegt schnarchend er an jener Stelle.

 

Schnell bring mir Schere her und Faden.

Der wird in seinem Blute baden.“

Nachdem das Geißlein dies gebracht,

wird sorgsam sich auf Jagd gemacht.

 

Ganz langsam nähern sich die beiden,

damit man kann den Wanst aufzuschneiden.

Und wahrlich, als das ist vollbracht,

ein jedes Geißlein aus der Nacht

 

im engen fensterlosen Magen

sich an das Tageslicht kann wagen.

Sie tanzen um der Mutter Beine.

„Lauft, Kinder, schnell! Holt mir die Steine,

 

die er alsbald an eurer Statt

in seinem dicken Bauche hat.“

Sogleich getan auf besagte Weise.

Die Naht des Fadens zeichnet Kreise,

 

die man nicht sieht, dank seiner Haare.

„Nun hilft nur Glück und Gotte bewahre!“

sagt still die Geiß zu ihren sieben,

indes sie im Versteck sich üben.

 

Da wacht nun auf des Hundes Ahn.

„Mir ist, als leide ich am Wahn.

Hab wohl gefressen Geißlein sieben,

doch scheinen Steine sich zu schieben

 

in meinem alten Bauch herum.

Das wird mir langsam doch zu dumm.

Will deshalb mit dem kühlen Wasser

bewirken, daß der Magen nasser.“

 

Er beugt sich über Brunnens Brüstung,

fühlt sich gleichsam in Ritterrüstung,

stürzt wie ein schwerer Stein hinein

und kann sich niemals mehr befrei‘n.

 

Da springen alle Geißlein vor,

zu singen mit der Ma im Chor,

daß nunmehr tot der Bösewicht

und niemand mehr sein Leibgericht.

 

  [2009]