Märchen

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Sechse kommen durch die Welt

 

Die Schlacht ist aus, der Krieg vorbei.

Ein jeder denkt sich, nun ist frei

die Mehrzahl von des Königs Leuten.

Genießt mit Recht die Heimfahrtsfreuden.

 

Gewiß, wer überlebt die Hiebe,

ist froh. Doch nur von Luft und Liebe

allein, so wie man sagt, kann kaum

man leben. Nicht im Traum.

 

So etwa ging es dem Soldaten,

der einst nicht unrecht geraten.

Doch gab man ihm mal grad drei Heller.

Das reicht nicht für die Maus im Keller.

 

„Herr König, Eure Majestät!

Ich kämpft für euch von früh bis spät.

Soll etwa das mein Zehrgeld sein.

Zu diesem Sold sag ich klar nein!“

 

Er konnte freilich nichts dran machen,

zu grimmig schauten schon die Wachen.

Sein Bündel raffte er auf schnell

und zog hinfort so lang noch hell

 

die Sonne schien, der Weg noch trocken.

„Ich überleg mir, wie ich locken

werde den geizigen Monarchen,

daß er nicht länger kann reich schnarchen.“

 

So kam er, als der Tag schon reif,

in einen Wald wo gar nicht steif

ein Mann sich statt mit kleinen Zweigen

mit Bäumen selbst erlaubt ein Reigen.

 

„Was reißt du alle Bäume aus?“

„Ich schnür sie und dann ab nach Haus.

Die Mutter mein, sie braucht‘s fürs Feuer.

Und auf dem Markt ist Holz so teuer.“

 

„Ist dir dann nicht der Waldvoigt gram?“

„Den möcht ich sehn, der ‘s weg mir nahm.“

„Sag, willst du nicht mein Diener sein?“

„Doch erst bring ich das Holz hier heim.“

 

Damit war der Soldat zufrieden.

Dann war den beiden wohl beschieden

sich ohne länger aufzuhalten

zu wandern durch des Königs Walden.

 

„So sollten wir zwei durch die Welt

wohl kommen. Wenn auch nicht viel Geld

in unser beider Beutel drückt“,

meinte der Soldat ganz entzückt.

 

Nun als sie aus dem Walde traten,

zeigte der Starke dem Soldaten

am Wege einen Kerl da liegen.

„Was machst du? Fängst du heimlich Fliegen?“

 

„Nicht fangen. Seht Ihr das Gewehr.

Damit schieß ich, es ist nicht schwer,

dort vorn, zwei Meilen auf der Baum,

glaubt mir, das ist fürwahr kein Traum,

 

der Fliege fort ihr linkes Auge.“

„Das meine füllt sich voll von Lauge.

Vor Lachen wohl, vergib mir Knabe.

Unmöglich ist’s, wär’s auch ein Rabe.“

 

Da donnert los des Jägers Flinte

und alle drei gehen geschwinde

zum Baum worauf die Fliege saß.

Nun liegt sie tot im grünen Gras.

 

Und wirklich ist ihr Auge weg.

„Verzeih mein Guter, hier im Dreck

liegt meine eigne Unvernunft.

Willst mit uns gehn du in Zukunft?“

 

„Warum denn nicht“, meint da der Schütze,

schlägt seinem Hut ‘ne neue Ritze

und schließt sich jenen beiden an.

Zu dritt man wohl die Welt gewann.

 

Die Welt war größer, als sie dachten,

als grad sie eine Pause machten,

begannen Mühlen sich zu drehen.

Zu siebt das Stück, ohne zu sehen

 

ringsum den kleinsten Blättertanz.

„Was ist das für ein Mummenschanz?“

fragten die Wandrer sich im lauten,

während am Berg die Müller schauten,

 

obwohl es war recht wundersam,

daß gut gezielt der Wind her kam.

Zwei Meilen weiter auf dem Hügel

hielt just ein Mann den Sturm im Zügel.

 

Er blies grad so mit seiner Nase,

daß nur die Flügel und kein Hase

von seinem Stoß was abbekam.

Sehr ernst er seine Arbeit nahm.

 

„Mein lieber Freund“, sprach Veteran,

„wenn ich mir das so schaue an,

dann glaub ich wohl, du bist der rechte

wenn in der Welt ich mal was fechte.

 

Willst du nicht mit uns drei mitkommen?

Wirst von uns herzlich aufgenommen.“

Da jetzt wohl von des Windes Zügen

genug war, auch die Müller drüben

 

bezeugten, daß der Job erfüllt,

der Bläser nicht in Schweigen hüllt:

„Wo soll es hingehn und warum?

Ganz ohne Sinn wär mir zu dumm.

 

Doch kannst du mir das Ziel wohl sagen,

dann brauchst du länger nicht zu fragen.“

Der Soldat meint: „Ich dachte mir,

die Welt gehört uns allen vier.

 

Und wenn es Abenteuer gibt,

niemand die Kugel ruhig schiebt,

dann wird für jeden hier im Rund

das Leben schön sein und gesund.“

 

„Warum denn nicht? Hab grad nichts vor.

Drum tret ich ein in euren Chor.

Vielleicht, daß wir es zu was bringen

und unsre Kinder von uns singen.“

 

So wanderten die viere weiter.

Auch schien die Sonne stetig heiter

bis dann am Abend ein gutes Stück

den Weg man hat gelegt zurück.

 

An einer Kreuzung sahn sie dann

‘nen seltsam einbeinigen Mann.

Der hatte ohne viel Gewese

sich abgeschnellt die Beinprothese.

 

„Mein Freund, ich hab noch nie gesehen

so kerzengrad ein Mann dastehen.

Der noch dazu hat nur ein Bein,

während das zweite steht allein.“

 

„Ich habe es mir abgeschnallt,

weil sonst mein Lauf durch Länder hallt

so schnell wie sonst nur Vögel fliegen.

Daran kann niemand stets was liegen.“

 

Darauf die Karawane schaut

den Kerl sich an, der sonst gebaut

nicht schlecht und auch sein offner Sinn

scheint für den Zug durchaus Gewinn.

 

Deshalb zog unser Korporal

den Läufer in die engste Wahl

und fragte ihn, wie er’s gewohnt,

ob er nicht gern bei ihnen wohnt

 

für eine Zeit, die man so braucht.

„Auch nennt man Euch wohl nicht Durchlaucht,

so will ich gern mit euch durchwandern

die Welt. Mir fehlt es just an andern.“

 

Zum Horizont die fünf nun zogen.

Obwohl das Wetter war gewogen

ihnen bislang den ganzen Tag,

tat Ruhe Not, ganz ohne Frag.

 

Will man nicht schlafen wie die Zwerge,

bedarf man Obdach der Herberge.

So eine stand den fünfen offen,

just als sie warn davon betroffen.

 

Davor jedoch, man glaubt es kaum:

ein Kerl hockt lustig unterm Baum.

Er hat sein Hütchen schief am Ohr

und kommt der Welt gar närrisch vor.

 

„Weshalb gibst du, mein lieber Sohn,

den Clown hier ab ganz ohne Lohn?

Setzt doch dein Mützchen grade auf.

Dann nimmt die Ehre ihren Lauf.“

 

„Seid Ihr gewesen bei Soldaten,

daß Ihr mich derart könnt beraten?

Ich freilich muß den Hut so tragen,

sonst wird es kalt in diesen Tagen.

 

Setz grade auf den Dreispitz ich,

friert ein die Welt herum um mich.

Kein Mensch, kein Tier kann sich bewegen.

Und Schnee und Eis statt Sommerregen.“

 

„Verzeih, mein Freund, daß ich so dachte

und sei vor allem weiter sachte

mit deiner seltsamen Kopfzier.

Komm doch mit uns. Das wünsch ich mir.“

 

„Wenn Ihr mich fragt, ich wüßte nicht,

was widerspräche dem, denn Licht

wird weniger an diesem Tag.

Stets lieber ich in Betten lag.“

  

Der Wirt der Schenke mit Bedacht

hat wohl auch Zimmer für die Nacht.

Frißt es auch auf ihre Finanzen,

die der Soldat trägt in dem Ranzen,

 

so können sie doch halbwegs schlafen,

bevor man geht, den Hof zu strafen.

„Ich glaube schon, mit diesen fünfen

geht es ganz gut in Rachesümpfen.“

 

Die Sonne stieg am Tag darauf,

da nahm der Anschlag seinen Lauf.

Zunächst begaben in die Stadt

sie sich, weil man dort sicher hat

 

viel mehr an dunklen Varianten,

an Basen, Vettern und Bekannten.

Dort laß man, was der König bot.

Ein Wettlauf kurz nach Morgenrot.

 

Wer von den Läufern kann besiegen

Prinzessin Schön, der soll sie kriegen.

Doch wer als zweiter kommt ins Ziel,

dem bald darauf der Kopf abfiel.

 

Zwar wäre jeder gern im Land

mal König, doch war auch bekannt,

daß niemand schneller lief als sie.

So konnte man gewinnen nie.

 

Nun ging verkleidet der Soldat

zum Landesfürst und dort erbat

er, daß an seiner Stelle nun

sein Diener läuft und er kann ruhn.

 

„Persönlich hab ich nichts dagegen.

Nur müßt ihr eure Köpfe legen

dann beide unters Henkersbeil,

wenn er nicht rennt als wie ein Pfeil.“

 

„So sei es. Morgen sind wir hier.

Ich gehe schnell noch ins Quartier,

um meinen Diener recht zu pflegen,

daß er sich morgen kann bewegen.“

 

Die Wette hieß, man soll zur Quelle

weit weg hin und dann ziemlich schnelle

zurück mit einem Krug voll Wasser,

damit man sieht, wer wird dann blasser.

 

Der Start erfolgt und schon ist weg

der Läufer, dessen Lebenszweck

das Laufen scheint. Doch wie gewohnt,

der König sorglos weiter thront.

 

Denn fürwahr kann auch die Prinzessin

viel schneller rennen als die Hessin,

als jede Frau, als jeder Mann,

der je ein Wettrennen gewann.

 

Doch als sie erst die Stadt verlassen,

ist er schon an dem Ort, dem nassen

und füllt den Krug bis an den Rand

und trägt ihn fort mit schneller Hand.

 

Indes, die Sonne meint es gnädig.

Auch wenn er seiner Kleidung ledig

bis auf die Hose und das Hemd

so wird er müde und verpennt

 

wie jene Königstochter böse

vorbei flitzt und meint: „Leicht ich löse

den Fall hier mit ‘ner Hinterlist.

Gieß aus den Krug. Bald tot du bist.“

 

Der Soldat indes bei dem König

verwundert es bislang nicht wenig,

daß noch nicht ist sein Läufer da.

„Schau nach, mein Schütze, was geschah.“

 

Der lugt mit seinem guten Auge

ins weite Land und meint: „Er tauge

wohl mehr als Schläfer denn zum Laufen.

Das ist kein kurz nur mal Verschnaufen.“

 

„Kannst du ihn auf die Beine heben?

Weck ihn schnell auf. Es geht ums Leben.“

„Ja, dieser dumme Läufertropf

hat einen Schädel unterm Kopf.

 

Den trug dereinst ein Rassepferd.

Ich schieß ihn weg, weil es verkehrt,

daß er in süßen Träumen ruht.

Uns allen käme es nicht gut.“

 

Gesagt – getan. Der Läufer sieht,

wie Prinzessin von dannen zieht

als er erwacht aus seinem Schlafe.

„Jetzt eile schnell, sonst droht mir Strafe.“

 

Doch ist besagter Becher leer.

Kein‘ Tropfen Wasser gibt er her.

So muß er neu zur Quelle laufen

und kann hier nicht mehr lang verschnaufen.

 

Zum Glück ist er ein schneller Mann

und kommt vor der Prinzessin an.

„Verzeiht mir meine Schäferstunde,

es war eine zu kurze Runde.“

  

Nun wollten Ihre Majestäten

nicht geben her die Tochter jedem.

Vor allem nicht diesem Soldaten

und trafen sich um zu beraten

 

wie sie wohl aus der Sache kämen.

„Mein Kind, du brauchst dich nicht zu grämen.

Wir werden sie schon wieder los.

Denn mein Befehl gilt hier noch groß.“

 

Der König lud die sechs Gesellen

ins Schloß und ließ dann eng verstellen

die Türen und die Fensterluken.

„Seht her, was meine Köche trugen

 

für unsre lieben Gäste auf.

Greift tüchtig zu. Bin kurz mal rauf

zu meiner Tochter, die schon wartet,

daß Ihr ihr den Besuch abstattet.“

 

Kaum war er weg, begann das Essen.

Gleichwohl das Trinken nicht vergessen.

Doch mit der Zeit („Was ist hier nur?“)

stieg an die Zimmertemp‘ratur.

 

„Mir drängt sich bald auf der Verdacht,

man hat zum morden hergebracht

uns alle hier in diesen Saal.

Türen verschlossen überall

 

und glaubt wohl, man kann uns hier grillen.“

„Das werd ich ihnen nicht erfüllen“,

meinte der Bursche mit dem Hut.

Er setzt ihn grad auf und schon tut

 

es fürchterlich im Saale frieren.

An allen Fenstern wachsen Schlieren

zu schönen Eisblumen heran.

Der heiße Wein wird kalt sodann.

 

Nach ein paar Stunden, als man schaut,

ob tot die sechs und nicht mehr laut,

da stehen sie wie sonst im Schnee

und barmen: „Kalt ist’s hier, oje.“

 

Der König traut nicht seinen Augen

und denkt: „Hier wird nichts taugen.

Ich muß die Tochter anders rächen.

Vielleicht kann ich mit Gold bestechen

 

die dreiste unheimliche Schar?

Dann steigen Steuern dieses Jahr.“

Nachdem er dieses unterbreitet,

meint der Soldat: „Bevor man schreitet

 

dieses in die Tat umzusetzen

Laßt uns nicht sehr in Eile hetzen.

Ich komm in ein paar Tagen wieder.

Dann gebt soviel wie jene Glieder

 

von meinem Diener tragen können.

So wollen wir uns redlich trennen.“

Der König wurde froh im Herzen.

„Ein Mann allein. – Ich kann’s verschmerzen.“

 

Jedoch so einfach war es nicht.

Ein Sack muß her, für das Gewicht.

Nun schneidern, damit es auch hält,

die Schneider gar ein Zirkuszelt.

 

Mit diesem kommt der Diener dann

beim König lustig pfeifend an.

„Hier kommt herein, was in der Kammer.

Laß, Hoheit, deinen Katzenjammer.“

 

Und somit schleppte das Gesinde

des Fürsten Gold herbei geschwinde.

Trug dann zusammen aus dem Reich.

Der König wurde blas und bleich.

 

Als endlich des Monarchen Gut

samt sonders in dem Sacke ruht,

nimmt ihn der Diener auf den Rücken

und geht davon mit Augenzwicken.

 

„So geht das nicht! Das darf nicht sein!“

schrie laut der König, als allein

er in der leeren Kammer stand

und keinen einzgen Heller fand.

 

Da rief er die Armee herbei,

konkret war das die Reiterei,

und gab ihr auf, den Schatz zu holen.

Anbei die Sechsen zu versohlen.

 

Auf Sicht waren sie schnell erreicht.

Doch einzuholen war nicht leicht.

Denn kaum, daß man zum Angriff blies,

braust auf ein Wind durch Wald und Wies‘.

 

Dem General und den Husaren

ist dies ganz schrecklich widerfahren.

Mit samt Kanonen und den Pferden

stürzten sie fort auf harten Erden.

 

Das hat der Bläser leicht getan:

„So kommt kein Feind an uns heran.“

Einzig ein kleiner Adjutant

kam auf die sechsen zu gerannt.


“Habt Gnade mit mir, Euer Gnaden.

Ich wandre nur auf der Fron Pfaden.“

„So geh denn hin zu deinem König.

Berichte ihm und sag, nur wenig

 

hätte mein Diener sich geregt

und alles, wie du siehst, bewegt.

Doch sollte er ‘s nochmals versuchen,

das Land als Verlust kann verbuchen

 

er immerdar für alle Zeit!

Sag ihm, wir sind dazu bereit.“

Der Adjutant ward heimgeschickt.

Teils ist er froh, teils sehr geknickt.

 

Zitternd stand er bald vor dem König:

„Die Sechsen können gar nicht wenig.“

„Nun denn, so lassen Wir sie ziehen.

Umsonst wär unser aller Mühen.“

 

Als dieses ihnen mitgeteilt,

sind sie dem Lande schnell enteilt.

Sie teilten auf den großen Schatz

ganz ohne trügerische Hatz.

 

Dann lebten sie, wie man so sagt,

sorglos an jedem neuen Tag.

Und glücklich auch mit Kind und Frau.

Ja, mancher Mann ist wirklich schlau.

 

[2009]