Märchen

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Frau Holle

Einst starb in einem fremden Ort

dem Manne seine Gattin fort.

Zwar fand er Trost im Töchterlein,

doch ohne Frau wollt er nicht sein.

 

Kaum daß drei Jahr vergangen sind.

bringt er ins Haus ein Weib mit Kind.

Das hat sogar den gleichen Namen.

Ob sie wohl auch zusammen kamen?

 

Mehr liebt sie wohl des Vaters Handel,

denn seine Tochter spürt den Wandel,

der wirkt, kaum daß sie hier eintritt

und böse Gier hält tapfer Schritt.

 

Die Menschen sind halt oft verschieden.

Wo früh die eine auf, bleibt liegen

die andre Tochter lang im Bett

und ist zur braven gar nicht nett.

 

Auch Stiefmama schlägt in die Kerben.

Der armen kleinen ist zum Sterben,

was freilich sie nicht daran hindert,

zu sehen, daß man überwintert.

 

Sie hackt das Holz, sie kocht das Essen.

Das Putzen, Waschen nicht vergessen.

Auch webt und spinnt sie immer fleißig.

Ist fünfzehn grad und nicht schon dreißig.

 

Doch weil sie alles macht allein,

geschieht mitunter auch mal Pein.

Weil eisig sind die kleinen Hände,

fließt Blut bald auf des Garnes Ende.

 

„Du dummes Ding“, schreit auf beim Naschen

die Mutter, „mußt das Garn auswaschen!“

Sogleich eilt die Marie hinaus,

denn säubern darf sie’s nicht im Haus.

 

Als sie sich dann am Brunnenrand

zum Wasser beugt, verliert den Stand

sie fast und will sich halten fest;

dabei die Spindel fallen läßt.

 

„Oh weh, oh graus! Was mach ich nur?

Die Mutter schimpft ein einer Tour.

Vielleicht bekomme ich auch Schläge?

Dabei ist wahrlich sie nicht träge.“

 

Das Mädchen weiß in seiner Not

nicht ein noch aus. „Ob ich wohl tot,

wenn ich gleichfalls ins Wasser springe,

daß ich die Spindel wiederbringe?“

 

Nicht lange überlegt sie weiter,

steigt auf den Brunnenrand nicht heiter,

läßt fallen sich, macht zu die Lider

und spürt wie Schock fährt in die Glieder.

 

Bald ist sie alle Schmerzen los,

weil Morpheus hält sie in dem Schoß.

Wie lange dieses ihr geschah,

weiß niemand, weil niemand war da.

 

Nachdem sie öffnet ihre Augen,

scheint es, daß sie für nichts mehr taugen.

Denn statt sie liegt auf Brunnengrund,

ist es ‘ne Wiese – sie gesund.

 

Es blühen bunte Blümelein

im Moos, im Gras, im Sonnenschein.

So steht Marie ganz schnelle auf

und dreht sich um und gäb was drauf,

 

wenn sie nur wüßt, wo sie jetzt ist

und ob das nicht nur eine List

vom Teufel oder bösen Trollen,

die sie ganz schlimm verwirren wollen.

 

Nicht lange bleibt ihr Zeit zum Denken,

ein Ruf läßt Aufmerksamkeit schenken:

„Ach, zieh mich raus! Ich bin schon gut!

Mit Handschuhen brauchst keinen Mut.“

 

Das Mädchen sieht beim Weitergehen

an einem Hang den Ofen stehen,

woraus ertönt der Jammerton.

Marie hat den Brotschieber schon

 

in ihrer Hand und ohne Mühen

kann sie die Brote herausziehen.

Sie legt sie dann auf einen Tisch:

„Oh sind sie knusprig, sind sie frisch.“

 

Nachdem dies Werk ist abgeschlossen,

setzt ihren Weg sie unverdrossen

und immerzu mit Staunen fort,

denn schon ertönt am andren Ort

 

ein neuer Hilferuf herbei.

„Die Äpfel sind reif, allerlei!

Ich mag nicht, daß die Äste brechen.“

hört sie den Apfelbaum jetzt sprechen.

 

Auch hier ist auf gewohnte Weise

das Mädchen hilfsbereit. Die Speise

liegt bald dort wo sie hingehört.

Mal sehen, ob noch etwas stört

 

des Mädchens wundersames Wandern.

Ein Schritt folgt weiterhin dem andern.

So kommt sie schließlich zu ‘nem Haus,

da schaut ‘ne seltsam Alte raus.

 

Doch weil sie freundlich zu ihr guckt,

Marie sich nicht in Büsche duckt.

„Komm nur herein, mein liebes Kind

und sag, woher treibt dich der Wind.“

 

Froh, daß die Einsamkeit zerbrach,

kam sie der Einladung schnell nach.

Trat in das Haus mit festem Schritt

und teilte ihre Nachricht mit.

 

„So bleib denn da für ein paar Wochen.

Brauchst nicht zu waschen oder kochen.

Vielleicht ein wenig nur abstauben,

auch Futter geben meinen Tauben.

 

Doch schüttelst du die Betten fein,

dann freuen sich die Kinderlein

und auch die schlafende Natur,

denn anstatt Federn, Schnee fällt pur.

 

‚Frau Holle‘ nennen Mädchen, Buben

mich, wenn in ihren warmen Stuben

sie fröhlich an dem Fenster stehen

und Flocken draußen fallen sehen.“

 

„Gern will, Frau Holle, ich es machen.

Will dir zum Dank all deine Sachen

in steter Ordnung sauber halten.

Auch Betten schütteln, Land gestalten.“

 

Doch weil sie brauchte etwas Ruhe,

zeigt ihr die Frau, wo ihre Schuhe

sie lassen kann und wo ihr Bett.

Das Mädchen findet: „Sie ist nett.“

 

Kaum kräht der Hahn am andren Morgen,

ist Marie auf und ohne Sorgen

bereitet sie den Frühstückstisch.

Gibt auch den Tauben Körner frisch.

 

Als dann die Hausbewohnerin

erscheint und sieht, in ihrem Sinn

ist alles schon getan, bereit,

da freut sie sich, daß es bald schneit.

 

Nach einem köstlich frühen Male

herrscht Heiterkeit im Stubensaale.

Sie zeigt dem Mädchen alsbald dann,

wie sie die Betten schütteln kann.

 

Marie sich dabei gut anstellt

und schon schneit es auf unsrer Welt.

Ein Lied singt sie ganz froh dabei,

fühlt sich zum ersten Male frei.

 

Die Zeit geht schnell, nach ein paar Wochen

kommt Heimweh zu dem Kind gekrochen.

„Ach, liebe Frau, hier geht’s mir gut.

Zu bitten find ich schwer nur Mut.

 

Allein, es drückt das Heimweh mich.

Nicht gerne laß ich dich in Stich.“

Die gute Frau hat das Einsehen

und läßt das Mädchen heimwärts gehen.

 

Hierfür muß die Marie durch ‘s Tor,

kommt sich noch immer ärmlich vor.

Da hört sie plötzlich Hollen sagen:

„Dies sei dein Lohn von dreißig Tagen!

 

Weil fleißig du warst jede Stunde

und höflich, lustig in der Runde.

Hast alles richtig brav gemacht,

drum sei dir dieses zugedacht.“

 

Kaum ist verstummt der Rede Ton,

fällt auf Marie es golden schon.

Ihr Kleid, die Schuhe und die Haare

aus purem Gold. Das reicht für Jahre.

 

Nochmal bedankt dafür sich diese

junge Frau und erblickt die Wiese,

die weiß bedeckt vor ihrem Haus

sich ausbreitet. „Wie sieht sie aus?“

 

kräht da der Hahn, der sie erblickte.

„Zurück die Goldmarie, die man wegschickte!“

Das bringt die Leute auf die Straßen,

die sogleich Goldes Wert abmaßen.

 

Stiefmutter hatte vor dergleichen.

Sah aufsteigen sich zu den reichen

Kreisen die alltäglich im Land

regierten als der erste Stand.

 

„Wo, Tochter, hast den Reichtum her?

Ach, sag es mir doch bitte sehr.

Sollst sein mein liebes Töchterlein.

Dein Leben sieht nur Sonnenschein.“

 

Ich glaub, manch einer tät hier lügen.

Doch Goldmarie kann nicht betrügen.

Erzählt der Mutter die Geschichte,

grad so, wie ich sie hier berichte.

 

Da reift in Muttern der Gedanke.

Zwei Kleider besser sind im Schranke.

Sie ruft ihr zweites Kind herbei:

„Spring in das Wasser ohn‘ Geschrei!“

 

Nur mürrisch nimmt das Garn das Kind,

obwohl nicht wissend, wie man spinnt,

sticht sich dann selber in den Finger

und jammert so, als sei nichts schlimmer.

 

Die Mutter gibt ihr einen Stoß,

so fällt und fühlt sich bodenlos

das sonst so faule Schwesterlein.

Dann schläft sie ebenfalls schnell ein.

 

Genau wie jene Goldmarie

erwacht sie später dort wie sie

auf einer grünen Blumenwiese.

„Das blöde Gras, ich glaub, ich niese.“

 

Als sie dann endlich aufgestanden,

die Füße auch die Straße fanden,

die gradewegs zum Ofen führt.

Sie geht vorbei ganz ungerührt

 

und läßt das gute Brot verbrennen;

schon sieht man sie vom Baum wegrennen.

Nicht einen Apfel hat gehoben,

auch alle andren blieben oben.

 

Dann kommt sie an Frau Holles Haus.

Die sieht schon etwas mürrisch aus.

Doch kaum, daß man sich hat begrüßt:

„Will wissen, wo mit Gold begießt

 

man mich und meine schönen Kleider.

Sag es mir schnell, dann zieh ich weiter!“

Frau Holle indes läßt ihr wissen,

daß sie zunächst in Haus wird müssen.

 

„Bleibst ein paar Tage du bei mir,

dann wirst sehen, was kriegst dafür.“

Auch wenn’s dem Mädchen nicht gefällt,

die Frau das Oberwasser hält.

 

Zunächst versucht die faule Schwester

sogar gerecht zu sein dem Tester.

Auch wenn es nicht die goldne Spitze,

so fegt sie schon mal aus die Ritze.

 

Allerdings am nächsten Morgen

ist es vorbei mit ihrem Sorgen

um Frühstück und der Tauben Zehr.

Viel lieber schläft sie länger mehr.

 

„Willst du nicht endlich aus den Kissen?“

fragt sie die Frau. „Die Kinder missen

bereits die weißen Wunderflocken.

Magst du sie nicht aus Betten locken?“

 

„Bah, was soll mir die Schinderei?

Wär besser, Winter wär vorbei.

Man fällt nur hin auf nassem Eise.

Gibt mir den Lohn, daß heim ich reise!“

 

Es weiß Frau Holle sehr genau,

daß es nichts wird mit dieser Frau.

So reicht sie ihr die Spindel hin.

Marie erwartet den Gewinn.

 

An jener Tür macht sie sich breit.

Streckt Arme aus, das Kleid hält weit,

damit auch jede kleinste Falte

genügend von dem Gold erhalte.

 

Hingegen aus dem Sturze fällt

kein Gold, kein Silber, Kupfergeld.

Ganz schwarz bedeckt Pech ihr das Mieder.

Der Hahn erkennt sie kaum noch wieder.

 

Dennoch läßt er den Schrei ertönen:

„Die Pechmarie tat man entlöhnen

für all den faulen Lebenswandel.

Mit dieser Frau stirbt jeder Handel.“

 

Auch jetzt sieht jeder Nachbar gleich,

das Pech bleibt dran. Nichts ist mit reich.

Nur wer im Märchen ab sich rackert:

belohnt wird das, was er beackert.

 

 [2009]