Märchen

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Hänsel und Gretel

 

Wenn ein Baum nicht jung an Jahren,

muß er zweierlei erfahren.

Daß zum einen er abstirbt,

wenn der Käfer ihn erwirbt.

 

Anderenfalls gewinnt die Säge.

Steht nicht aufrecht, liegt nur schräge.

Wird dann schnell zu Brennholz, Brettern.

Was ist besser? Wollt ihr wettern?

 

Nicht Tier und Mensch frißt ihn allein.

Manch Unwetter nach Sonnenschein.

So liegen Äste, Zweige schnell.

Und der Holzsammler ist zur Stell.

 

Er steckt das Fallholz untern Arm.

Dann hat er es Zuhause warm.

Und auch zum Handel mag es taugen,

kommt er damit zu Kundschaftsaugen.

 

Doch immer hat er nicht das Glück

und muß mit leerem Sack zurück.

So ging es jenem armen Mann,

der seine Not kaum fassen kann.

 

Daheim die Frau mit den zwei Kindern.

Wie sollen sie nur überwintern?

Zwar konnten sie’s vor ihn‘ verbergen.

Doch einmal werden sie es merken.

 

Nur heute ist‘s noch nicht soweit.

Drum herrscht im Haus die Lustigkeit.

Da nun mal Kinder kindlich sind,

tanzt eins ums andre wie geschwind.

 

Die Mutter sieht’s mit Augen zwei.

Wo Lust ist, ist auch Not dabei.

Zudem kommt Vater ganz geknickt,

weil ihm kein Handel ist geglückt.

 

So spricht die Frau, die Kinder schlafen:

„Warum will Gott uns nur so strafen?

Wenn wir behalten woll’n das Leben,

muß man die beiden auswärts geben.“

 

Dem Vater ist’s ein böser Graus,

doch weiß er auch nicht ein noch aus.

Das hört aus Hans, als er erwachte

und steckt sich Steine ein, ganz sachte.

 

Als am Morgen schien die Sonne,

glaubte Gretel noch an Wonne.

Bruder Hans jedoch ganz leise,

zischt ihr zu: „Bald geht‘s auf Reise.“

 

In der Tat werden sie genommen,

um alsbald in den Wald zu kommen.

Doch das Hänschen mit Bedacht,

hat die Steine mitgebracht.

 

Diese läßt er sorgsam fallen,

daß sie auch nicht widerhallen.

Und so liegt die ganze Tour,

Stein für Stein wie eine Schnur.

 

Schließlich in dem tiefen Walde:

„Wartet hier, wie hol’n euch balde“,

mahnt die Mutter ohne Sorgen.

Glaubt an heut nur, nicht an morgen.

 

Zunächst sind die Kinder heiter.

Gretel glaubt, es geht schon weiter.

Doch als dann die Sonne schwindet,

‘s Mädchen ihre Tränen findet.

 

„Sei getrost, mein Schwesterlein.

Siehst du nicht den hellen Stein?

Hier und dort, den ganzen Weg.

Geh‘n wir jetzt, wird’s nicht zu spät.“

 

Dennoch stehen bald die Sterne

hoch am Himmel. Ach, wie gerne

würden sie Zuhause schlafen.

Riesig froh, als sie eintrafen.

 

Auch der Vater, stolz vor Glück,

als sie endlich sind zurück.

Nur die Mutter, im Verschlage,

sinnt schon auf die nächsten Tage.

 

Wieder mahnt sie ihren Mann,

daß das nicht gut gehen kann.

„Für uns vier ist nicht genug.

Helfen kann uns nur Betrug!“

 

Diesmal schließt die Tür sie zu.

Hänschen findet keine Ruh.

Keine Kiesel in den Taschen.

Nur ein hartes Brot zum Naschen.

 

Als darauf der Morgen graut,

weckt die Mutter sie ganz laut.

„Kommt, wir woll’n spazieren gehen.

Uns nochmal den Wald ansehen.“

 

Weil das Brot zur Not mußt‘ reichen,

ließ er Krumen fall‘n wie gleichen

Tags zuvor den ganzen Weg.

Hofft darauf, daß er sie späht.

 

Wie’s die böse Mutter plante

und der Hans es schrecklich ahnte,

ließen ihre Eltern sie allein

dort im Wald, im Abendschein.

 

Warten grad ein Stündchen beide

Kinder. Suchen dann die weite

Strecke nach dem Backwerk ab.

Doch die Vögel war’n auf Zack.

 

Gar kein ein Krümel war zu finden.

Zwischen Tannen nicht und Linden.

All das Brot war Vogelfraß.

Müde fallen sie ins Gras.

 

Glück für sie, daß wilde Tiere

grad nicht kamen ins Quartiere.

Und so haben sie die Nacht,

eng beisammen zugebracht.

 

Als die Morgensonne schien,

scheint die Welt neu aufzublüh‘n.

Hänsel nahm der Gretel Hand.

Sucht den Weg mit Kindverstand.

 

Doch wie sollt‘ den Weg man finden

zwischen Hecken und Gewinden?

Bald verirren sie sich ganz.

Gretel weint, auch weint der Hans.

 

Dann, als nichts mehr scheint zu gehen,

schauen sie ein Häuschen stehen

hinter einer alten Brücke.

Sehen Hoffnung nur, nicht Tücke.

 

Ach, wie seltsam sieht es aus,

dieses Pfefferkuchenhaus?

Mandelstückchen und Krokant.

Nie man je was leck‘res fand.

 

Zuckerguß und Karamel!

Hungrig bricht man’s ab ganz schnell.

Da ertönt der Ruf von innen,

wer wohl knabbert an den Zinnen.

 

Gretel hält mit Essen inne

und ruft, wie ich mich entsinne:

„Es ist nur der Waldeswind

und vom Himmel jenes Kind.“

 

Da nun öffnet sich mit Knarren

eine Tür. In alten Sachen

tritt ‘ne alte Frau heraus.

Lockt die zwei ins Hexenhaus.

 

Lockt die zwei mit süßen Gaben,

die sie nie gegessen haben.

Wer, so frag ich kluge Leute,

könnte widerstehen heute.

 

„Kommt, ihr lieben Kinderlein.

sollt ‘s gut haben und recht fein.

Honig gibt’s und Milch ganz warm.“

Nimmt die beiden in den Arm.

 

„Denn ihr seht recht hungrig aus.

Drinnen gibt es süßen Schmaus

auch ein weiches Bett dazu.

Dann macht schnell die Äuglein zu.“

 

So wie es die Hexe sagte,

so geschah es, keiner fragte

nach all dem was dann geschah.

Weiches Bett war viel zu nah.

 

Sehr erschöpft von den Strapazen

sanken sie in die Matratzen.

Fielen schnell in tiefen Schlaf.

Brauchten dazu nicht ein Schaf.

 

Früh schon war die Nacht vorbei.

Gretel rieb die Augen frei.

Wollte nach dem Hänsel sehen,

um ans Frühstück dann zu gehen.

 

„Raus mit dir, du faules Luder!

Geh nach draußen an den Fuder!

Hacke Holz mir und recht schnell!

Bring auch Wasser. Wird schon hell.“

 

Dieses ließ die Hex verlauten.

Und obgleich die Augen schauten

von dem Gretchen gar verdutzt,

wird sie gleich noch mal gestutzt:

 

„Kommst du nun mal auf die Beine!

Glaubst wohl, ich mach das alleine.

Habt gefressen wie die Säue.

Bin euch über mit der Schläue.“

 

Sollte da das Mädchen lachen?

Konnt‘ nicht mal die eignen Sachen

irgendwie in Ordnung bringen.

Aus schien es ihr mit dem Singen.

 

Was sie tags zuvor nicht sahen,

dem mußt sie sich heute nahen.

Hackte Holz mit schwerem Beile.

Schaffte Wasser ‘ran mit Eile.

 

Schrubbt den Boden hin und her.

Ach, der Hänsel fehlt ihr sehr.

Wo ist der nur abgeblieben.

Keine Antwort ist beschieden.

 

Als die Mittagssonne stand

ganz knapp übern Baumesrand,

hat die Alte neu zu meckern:

„Bring das Essen raus! Nicht kleckern!“

 

Hinter jener Hexenhütte,

stand ein Käfig in der Mitte

zwischen Haus und ‘nem Kamin.

Dahin muß das Mädchen ziehn.

 

Und in diesem Hundegatter,

Gretel ruft nach dem Gevatter,

sitzt ihr Bruder chancenlos.

Oh, wie ist die Not so groß!

 

Schnell die Kinder sind beisammen.

Tränen füllen ganze Wannen.

„Was nur, Hänsel, soll ich tun?“

Doch die Hex läßt sie nicht ruh‘n.

 

„Bist du endlich fertig draußen?

Ich muß durch die Wälder sausen.

Putz das Haus von oben, unten,

bis der kleinste Staub verschwunden!“

 

Gleich mit einem Feuerschweif

ist der Drachen fort, ganz steif.

Die Geschwister könn‘ nicht flennen.

Schwester muß ins Häuschen rennen.

 

So verläuft die ganze Woche.

Hexe fragt: „Ob, was ich koche,

wohl dem Burschen Fett beschert?

Kinderschmaus ist mir begehrt.“

 

Und sie greift nach ihrem Stocke,

rafft die Falten aus dem Rocke,

Humpelt zu dem Stalle hin,

nachzuprüfen ist ihr Sinn.

 

Doch der Knabe dünkt sich schlauer.

Legt sich an der Tür auf Lauer.

Als sie sucht sein Fingerlein,

reicht er ihr ein Hühnerbein.

 

„Was, wie mager bist denn du?

Lasse ich dich nicht in Ruh?

Mußt doch essen, richtig laben.

Will zum Fressen ich dich haben!“

 

Unwirsch schleicht die Hex zurück.

Hänschen hatte noch mal Glück,

daß die Alte kann nicht sehen

und auch das nicht recht verstehen.

 

„Ach, was soll’s“, beschließt der Besen.

„Mach ich mal kein Federlesen.

Muß ihn eben dürr verspeisen.

Hilft ja nichts, brauch was zum Beisen.

 

Zünde an den Ofen, Gretel!

Sei ein nicht so faules Mädel!

Und wenn er so richtig heiß,

zeig es mir mit deinem Schweiß!“

 

Obwohl ihr ist nicht geheuer,

macht das Mädchen Höllenfeuer

und als dieses richtig prasselt,

soll sie schaun, ob‘s nicht vermasselt.

 

„Steig nur in den Ofen rein!

Sag mir dann, recht bitte fein,

ob die Glut ist was geworden,

daß ich Hänseln kann ermorden.“

 

„Nein, ich arme, dumme Maid,

weiß damit nicht Recht Bescheid.

Wie soll in den Ofen kommen

ich? Den hab ich nie erklommen.“

 

„Dumme, blöde, kleine Gans!

Wie soll schmecken mir der Hans,

wenn ich alles selber mache?“

schimpft die Hex nicht ganz bei Sache.

 

Dennoch beugt sie sich ganz vor.

Gretel ist kein solcher Torr,

daß sie diese Möglichkeit

nicht ergreift zur rechten Zeit.

 

Mit dem Schieber, der aus Holz,

stößt sie vorwärts und ist stolz,

daß ihr dieser Coup gelang.

Hex im Ofen ist gefang.

 

Türe zu mit einem Schlag.

Glaubt mir nur, wenn ich es sag,

daß bald nach dem bösen Heulen

der Kamin barst samt den Säulen.

 

Und nach einem Donnerknall,

bricht der Spuk auf jeden Fall.

Auch das Gatter ist nun fort –

Hänsel bleicht verschont vom Mord.

 

Dieser will alsbald verschwinden,

Gretel meint: „Schau, was ich finden

konnte in der dunklen Kammer.

Es hier zu lassen, wär ein Jammer.“

 

Alsbald kam sie voll beladen

mit Juwelen und Dukaten

aus dem Hexenhaus zurück.

Heimzufinden fehlt am Glück.

 

Hier nun glaubt der Hänsel Rat.

„Jener Bach fließt in die Stadt.

Wenn wir ihn nur rechtens folgen,

sind wir schneller heim als Wolken.“

 

So, wie es das Hänschen meinte,

machen sie’s als reich vereinte.

Hand in Hand zur Stadt sie kamen;

erst mal dort ein Essen nahmen.

 

Kurz darauf ging es nach Hause.

Was gab es dort für ‘ne Sause,

weil die Kinder sind am Ort.

Böse Mutter lange fort.

  

Eine Moral spar ich mir,

denn das Stück spricht selbst dafür,

daß man, was auch immer käme,

Mut sich für einander nehme.

 

 [2009]