Märchen

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König Drosselbart

 

Eine Tochter nannt‘ sein eigen

König August von den Zweigen.

Schön hieß jeder ihr Gesicht.

Leider war‘s ihr Wesen nicht.

 

Denn als sie kam in das Alter,

da aus Raupe wird ein Falter,

als auf wahren Freiersfüßen

viele kamen, sie zu grüßen,

 

hatte sie nur Spott für jeden,

der sich anbot sie zu hegen

wie es einer holden Maid

zustand einst in alter Zeit.

 

„Schaut nur“, sprach sie zu den Leuten,

die sich auf die Hochzeit freuten,

„schaut auf diesen alten Knacker.

Nur das Korsett hält ihn wacker.

 

Zieht man ihm die Stützung raus –

fällt zusammen wie ein Haus

aus den bunten Spielzeugkarten.

Soll ich nur auf’s Erbe warten?

 

Oder diesen Gockel dort?

Ist hier nicht der falsche Ort

für sein eitles ‘rum stolzieren?

Will er damit mich verführen?

 

He! Graf Schneider von der Rolle,

meint Ihr wirklich, daß ich solle

mich in Eure Hand begeben?

Was wär das schon für ein Leben?“

 

Und so ging es tagelang.

Ihrem Vater wurde bang,

daß bald niemand mehr geneigt,

sich als Bräutigam hier zeigt.

 

„Tochter, laß die dummen Faxen.

Prinzen nicht auf Bäumen wachsen.

Und ich bitt‘ dich, sei nicht nur

so beleidigend on Tour.“

 

„Was soll ich mit diesem Bengel,

Vater? Besser wär der Stengel,

der ihn eben noch getragen,

trüg ihn noch in hundert Tagen.

 

Doch die Krönung, Vater, wart‘,

ist der mit dem Drosselbart.

Wär‘ heut‘ Zeit für Karneval,

tät man lachen ohne Zahl.“

 

Da, wo sich die bös benannten

wortlos hin zum Ausgang wandten,

blieb der eben grad verschmähte

stehen und sprach zu der Käthe:

 

„Schande über Euer Wesen.

Wer will schon solch garstig Besen.

Keinem Mann von blauem Blut

seid ihr fortan gut genug!“

 

Als das hörte Käthens Vater

rief er: „Schluß mit dem Theater!

Welcher Mann als erster kommt

durch die Tür hier nimmst du prompt.

 

Sei es auch der ärmste Bauer.

Hier im Land gäb‘s keine Trauer.

Hast es dir selbst zuzuschreiben.

All die Werber zu vertreiben.“

 

Kaum hat Hoheit dies gesprochen,

kam ein Fiedler angekrochen.

War da groß Prinzessins Schreck,

doch kein Flehen hatte Zweck.

 

König August winkt dem Geiger

und verwandelt ihn zum Schweiger:

„Kamst zum Spielen auf Hochzeit –

bist nun Ehemann ab heut!“

 

Der, der viele Länder kannte,

sich dabei selbst nicht benannte,

griff die Jungfer an der Hand

und zog mit ihr durch das Land.

 

Von des Vater prächtig Schloß

ging zu Fuß es ohne Roß.

Wege staubig, Straßen naß.

Königstochter langsam blaß.

 

„Ach“, dacht sich das zarte Weibchen,

„säß ich jetzt an ‚Drossels‘ Leibchen.

Hätt‘ genommen ich den Knaben,

müßte nicht durchs Schlammloch traben.“

 

Just erblickten sie von weiten

hohe Wälder, die beizeiten

von geübter Hand gepflegt

und nicht wahllos abgesägt.

 

„Sag, wem dieser Wald gehört.

Selten fand ich unbeschwert

festen Tritt im wilden Land.“

„Liegt in Drosselbartes Hand.“

 

Denkt die Königstochter: ‚Ach,

warum gab ich ihm nicht nach?

Könnt mir Roß und Kutsche kaufen,

statt durch seinen Wald zu laufen.‘

 

Äcker, Felder, Weiden, Wiesen.

Alle, so scheint ihr, genießen

eine edle Landgestaltung.

Grad so wie in jener Waldung.

 

„Und das alles hier reihum?

Sag und halt mich nicht für dumm,

wem ist dieses Land zu eigen?“

„Tut dem Drosselbart sich neigen.“

 

„Wär, Prinzessin ich, nur Zofe,

an des reichen Königs Hofe,

ging es mir, nicht weit gefehlt,

besser, wenn ich ihn erwählt.“

 

Alsbald sah sie ‘ne Hütte stehen

und konnte doch nicht recht verstehen,

wie irgend jemand an dem Ort

dort hausen konnte. „Auf ein Wort,

 

du der du glaubst, mein Mann zu sein.

Was bildest, Tölpel, dir du ein?

Du schleppst mich hier in diese Heide.

Siehst du denn nicht, wie ich drum leide?“

 

„Sei still Weib!“ rief er. „Und erwarte,

daß ich an dich mein Sprechen starte.

Sprichst du noch einmal ungefragt,

dann schlag ich dich so wie man sagt.“

 

Er zog sie weiter in das Haus.

Der Königstochter wurde graus

bei dem Gedanken, hier zu leben:

„Hätt‘ Drosselbart ich Hand gegeben.“

 

„Hol Wasser, mach Feuer und Essen.

Hab lange schon nichts mehr gegessen.

Dann richtest du dies Heim hier her.

Der Anblick stört mich gar so sehr.“

 

Obwohl Prinzessin gar nicht wollte,

sie mußte gehen. Dabei zollte

sie, daß bislang noch keinen Schlag

getan sie hatte bis zum Tag

 

mit ihrer zarten Jungfernhand.

Erneut sie zu dem Spruche fand:

„Es wär mir besser wohl bekommen,

hätt ich den Drosselbart genommen.“

 

Die Zeit verging, der Weg ward naß.

Auch Feuer machen war kein Spaß.

Die kleinste Tat ward ihr zur Qual.

Doch endlich stand bereit das Mahl.

 

Kaum hat gekostet dies ihr Gatte,

schon lag es auf der Bodenmatte

mitsamt dem ganzen Tischbesteck.

„Wer soll denn fressen diesen Dreck?

 

Ich gehe jetzt noch einmal aus.

Und du machst sauber dieses Haus.

Es ist, ich warne dich, vollbracht,

wenn ich zurück bin in der Nacht!“

 

Er ließ sein Weibchen hart zurück.

„Ist denn vorüber all mein Glück?“

weinte die einst verwöhnte Frau

und greift zum Besen in dem Bau.

 

Sie putzt und wischt und renoviert

wie sie es kann. Dabei verliert

sie ganz allmählich ihre Scheu,

zu trennen guten Sinn vom Spreu.

 

Tatsächlich hat sie abends spät

das Werk vollbracht und als sie geht

gerade zu der Schlafstatt hin,

kommt stark berauscht der Hausherr. „Bin

 

ich denn in einem Schweinestall?

Was für ein Schmutz ist überall?

Was hast den ganzen Tag getrieben?

Das müssen wir wohl erst noch üben?“

 

Mit diesen Worten stößt er um

den Tisch und Stühle mit Gebrumm.

Die Stiefel, die von Schlamm bedeckt,

nutzt er, damit das Haus verdreckt.

 

„Mach das hier sauber. Aber schnell!

Steh nicht dumm rum. Bald ist es hell!“

So, wie er kam, legt er sich nieder

und schnarcht im schmutzigen Gefieder.

 

Erneut muß Käthe sich dranmachen

zu ordnen alle sieben Sachen,

zu heben, was am Boden liegt,

und auszukehren, daß es stiebt.

 

Als dann die Sonnenstrahlen locken,

schlüpft die Prinzessin aus den Socken.

Fällt ganz erschöpft ins eigne Bett.

„Bist du bald auf! Es wäre nett,

 

wenn ich mein Frühstück von dir habe.“

stößt er sie gleich aus ihrer Wabe.

„Und schau dir meine Stiefel an.

So kann ich nicht hinaus als Mann.

 

Mach sauber sie und putz sie fein.

Gewienert will das Leder sein!

Wenn ich dann abends wiederkomme,

scheint hier im Heim Willkommenssonne!“

 

Die Augen hält sie kaum noch auf,

doch ständig ist im Haushaltslauf

die ungelernte Hausfrau willig.

Schnell Lernen ist nun mal nicht billig.

 

So ging das Leben eine Woche.

„Ich sitze hier und nähe, koche

für ihn so gut ich eben kann. –

Ach wär der Drosselbart mein Mann.“

 

„Was murmelst du da vor dich hin?

Ich glaube, es hat kaum noch Sinn,

hier lange hungrig ‘rumzustehen.

Du wirst noch heut‘ zum Marktplatz gehen.

 

Kauf gut zu Essen für uns ein.

Denn was du kochst, frißt kaum ein Schwein.“

„Mein lieber Mann, dann brauch ich Geld.“

„Verdien es dir. Korbflechten zählt.“

 

Nun mußte sich die Käthe plagen,

mit Blut getränktes Gut zu tragen

zum Markt und dort mit dem Versuch,

was zu verkaufen ohn‘ Betrug.

 

Sie stellt sich still in Straßenecken,

will sich vor Schande glatt verstecken.

So wollt niemand ihr Korbwerk haben.

Gar grausig brummt es ihr im Magen.

 

Bis das ‘ne milde Händlersfrau

ihr gab zwei Äpfel. „Nicht ist schlau

sich in das Dunkle hier zu stellen.

Denn Körbe kauft man nur im Hellen.“

 

Mit den zwei Äpfeln in der Hand,

schließt sie am Abend ihren Stand,

geht heimwärts dann mit schwerem Schritt.

„Oh, wär ich doch mit Drossel mit.“

 

Ihr Gatte, der wird rot vor Zorn:

„Wozu hat man dich nur geborn?

Vielleicht kannst du mit Tongeschirr

erreichen, daß mir wird nicht irr

 

vor Hunger und vor all dem Gram,

daß ich dich mit nach Hause nahm.“

Die harten Worte schmerzen sehr

und unser Käthchen kann nicht mehr.

 

Ganz bittre Tränen rollen nieder

auf ihr nicht mehr so stolzes Mieder.

Nachdem der Apfel ist verspeist,

sie sich, man sagt, zusammenreißt.

 

Läßt sich von ihrem Manne zeigen,

wie man aus Ton macht Küchengeigen.

Wie Krüge, Schüsseln, Teller, Tassen.

Schon bald kann sie den Ton nicht lassen.

 

Bis in die Nacht hat sie gebrannt

den Ton und mit geübter Hand

verziert sie nun die Töpferware.

Ihr Mann streicht erstmals ihre Haare.

 

Am andren Tag steht früh sie auf

und nimmt den Marsch zum Markt in Kauf,

wo sie am vermeintlich besten Platz

beginnen will die Handelshatz.

 

Sie denkt, am Tor zum Markt ist’s fein.

Da kommen alle Kunden rein.

„Da kann ich schnell das Zeug verkaufen.

Muß mich nicht mit den andren raufen.“

 

Ja, wirklich, mancher bleibt schon stehen.

Will sich das schöne Gut ansehen.

Doch ehe man was kaufen kann,

springt ein Husar mit Pferd heran.

 

Da braucht man lang nicht nachzufragen.

Das ganze Steingut wird zerschlagen.

Zum Glück kommt hier kein Mensch zu Schanden,

weil alle etwas abseits standen.

 

Jungfer Käthe hat unterdessen

ganz verstört im Schmutz gesessen.

Kann nicht recht glauben, was sie sah

und daß das Unglück ist so nah.

 

Noch einmal helfen ihr die Leute,

weil Handelsware Pferdebeute.

„Nur haben wir dich langsam satt.

Komm morgen nicht mehr in die Stadt!“

 

„Was soll ich mit dir Weib nur machen?“

fragt sich ihr Mann. „Nicht ist zum Lachen

mir längst an meinem Bettelstabe.

Du bringst mich langsam nah dem Grabe.

 

„Was, lieber Mann, soll ich nur tun?

Will rasten nicht, nicht warten, ruhn,

bevor du nicht mit mir zufrieden.

So hilf mir doch“, fleht sie entschieden.

 

Ein letzter Test wird aufgetragen.

Sie soll zur Burg, nach Arbeit fragen.

Im Stall, im Garten, in der Küche –

egal. Es helfen keine Flüche.

 

Am Tag darauf begibt sie sich

zum Schloß. „Das hätte alles ich,

wenn ich wär nur nicht so gewesen.

Hab statt der Krone nun den Besen.“

 

Sie wird tatsächlich aufgenommen

und hat den Küchendienst bekommen.

Sie lernt, was gut ist und was nicht

und wie es steht um Arbeitspflicht.

 

Auch wenn die anderen Gesellen

sich mit dem Mädchen nicht gut stellen,

so gibt sie sich doch redlich Müh

und rackert peinlich spät bis früh.

 

Das was vom Tisch bleibt für den Müll,

nimmt sie nach Hause mit Gefühl

in einer kleinen Tonkassette.

Genügsam ward sie, jede Wette.

 

Dann geht der Spruch, daß Drosselbart

ein Fest gibt für ‘ne, die sei zart.

Des Spielmanns Weib will diese sehen

und bleibt in einer Nische stehen.

 

Dort wird sie von dem jungen Prinzen

hervorgeholt mit lautem Grinsen.

Sie wehrt sich, da fällt aus dem Mieder

ihr Tontopf auf den Boden nieder.

 

Und er zerbricht zu tausend Scherben,

die Speisereste sichtbar werden

und alle Gäste lachen laut:

„Schaut, diese Dirne, schaut nur, schaut!“

 

Das Mädchen sammelt alles ein

und fühlt sich dennoch nicht zu klein:

„Brauch mich der Armut hier zu schämen.“

Dann will sie schnell den Ausgang nehmen.

 

Allerdings des Drosselbarts Hände

begünstigen des Schicksals Wende.

Er hält sie fest und schaut sie an:

„Hier wird dir nie mehr weggetan.

 

Schau! Geige und Husarenrock.

Das nötig war um deinen Bock

dir aus dem schönen Engelskopf

heraus zu scheuchen. Klopf! Klopf! Klopf!

 

Ich war der Bettler, war der Ritter

und weiß, es war für dich recht bitter.

Doch siehst du nun bestimmt auch ein,

daß alles das hat müssen sein.“

 

Sie fällt dem Manne in die Arme

und weint vor Glück ganz herrlich warme

Tränen. Aber dann lacht sie froh.

„Mein liebster Mann, ich dank dir so.“

 

Jetzt wird sie schleunigst eingekleidet

und zu dem Prinzen hingeleitet.

Sie geben sich noch mal das Wort

und leben glücklich immerfort.

 

[2009]